Diskursräume, die offen bleiben – Diskussion über Montagsdemonstrationen in Frankfurt (Oder)

Zu einer Diskussion zum Thema „Montagsdemonstrationen in Frankfurt (Oder): Alte Mobilisierung in neuer Gestalt?“ hatte am 7. Dezember 2022 das Viadrina Institut für Europa-Studien (IFES) eingeladen. Es war kein rein akademischer Diskurs, sondern ein zum Schluss auch hitziger Austausch im bis auf den letzten Platz besetzten Senatssaal. Der Einladung der Viadrina waren viele Demo-Teilnehmende gefolgt.

Aus wissenschaftlicher Perspektive, aber auch aus Sicht der Universität als Teil der Stadt sei das Thema der aktuellen „Montagsdemonstrationen“ interessant für das IFES und die Viadrina, sagte Prof. Dr. Sascha Münnich zu Beginn der Diskussionsveranstaltung. Die Demo-Route führe jeden Montag direkt an mehreren Viadrina-Gebäuden vorbei; viele Mitarbeitende würden sie daher direkt mitbekommen und beobachten.

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Zu Gast auf dem Podium war unter anderem Viadrina-Historiker Prof. Dr. Jan C. Behrends, der als Inhaber der Professur für „Diktatur und Demokratie. Deutschland und Osteuropa von 1914 bis zur Gegenwart“ die aktuellen Montagsproteste geschichtlich einordnete. Seit den „originalen“ Montagsdemonstrationen 1989 habe es immer wieder Versuche gegeben, sie wiederaufleben zu lassen, „oder man könnte auch sagen: zu instrumentalisieren“, so Behrends. Als Beispiele nannte er die Proteste gegen Hartz 4 und die Pegida-Demonstrationen. Und auch immer wieder habe es kontroverse Diskussionen darum gegeben, ob man das Label „Montagsdemo“ aus dem Herbst 1989 in dieser Art weiternutzen „dürfe“.

Behrends erinnerte auch an pro-ukrainische Demonstrationen nach der Krim-Annektierung 2014 und dass es schon damals pro-russische Gegenproteste gab, die sich auch gegen die NATO richteten. Während der Diskussion gab es mehrere Wortbeiträge aus dem Publikum, die sich mit diesen Themen beschäftigten. Behrends resümierte: „Ich nehme mit, dass es großen Diskussionsbedarf gibt zum Thema Russland und Ukraine. Man wird nicht immer gleicher Meinung sein, das ist ja vollkommen in Ordnung, aber man sollte doch den Dialog pflegen – vielleicht in einer kommenden Diskussionsveranstaltung nur zu diesem Thema“, so Behrends.

Dass es genau zu diesem Thema – Beziehungen zu Russland und der NATO – Uneinigkeit unter den Montagsprotestierenden gibt, wurde auch an anderer Stelle deutlich. Valerie Müller-Huschke, die für ihre Masterarbeit an der Viadrina die Montagsspaziergänge in Fürstenwalde im Zeitraum von Dezember 2021 bis Ende März 2022 untersucht hat, berichtete, dass die Organisationsgruppe dort vorsichtig mit dem Thema umgegangen sei, um niemanden zu verlieren. „Das Thema hatte Potenzial, die Gruppe zu zersprengen. Die Zäsur des Krieges hat den Zusammenhalt des Protestes teilweise bedroht“, so Müller-Huschke. Ein Organisator der Frankfurter Montagsproteste sagte zum Umgang mit Russland-Fahnen auf der Demonstration: „Wir haben anfangs darum gebeten, keine Fahnen mitzuführen. Das führte aber zu einer Zensur, darum äußern wir uns dazu inzwischen gar nicht mehr.“

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Stattdessen konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen Punkt herausarbeiten, der maßgeblich zum Zusammenhalt und zur Kontinuität der Protestbewegung beiträgt: Gemeinschaftssinn und Zugehörigkeitsgefühl. Durch die diffuse Themensetzung sei eine Heterogenität innerhalb der Proteste möglich. „Es ist leichter, sich gegen etwas zu verbünden als für etwas“, brachte es Müller-Huschke auf den Punkt. Das habe geholfen, einen Gemeinschaftssinn zu entwickeln. Insbesondere nach den Corona-Lockdowns seien die „Spaziergänge“ auch als sozialer Treffpunkt wichtig gewesen. Das bestätigte auch eine Person aus dem Publikum: Er habe eine Gemeinschaft gesucht, mit der er sich austauschen könne „als sogar die eigenen Kinder sich abgewendet haben“.

Die Debatte sei ihr „zu ruhig“ und „spiegele nicht die Stimmung in der Stadt wider“, so eine andere Stimme aus dem Publikum. Darauf gab es prompt einige Für- und Gegenstimmen. Wohl ein deutliches Zeichen dafür, dass manche Gäste diese Veranstaltungsform nicht gewohnt sind. „Es gibt so gut wie keine öffentlich wahrnehmbare Auseinandersetzung mit den Themen der Montagsdemonstrationen“, stellte auch Frank Hühner von der Koordinierungs- und Fachstelle der „Lokalen Partnerschaft für Demokratie“ in Frankfurt (Oder) fest. Einen möglichen Grund lieferte er gleich mit – es könnten die weniger gewordenen öffentlichen Diskursräume, wie z. B. Stammtische oder eine Veranstaltung wie diese an der Viadrina, und die damit einhergehende Verlagerung ins Internet sein. Am Ende resümierte Dr. Anja Hennig, wissenschaftliche Koordinatorin des IFES und Moderatorin des Abends, „dass wir hoffentlich in dieser Stadt auch Diskursräume haben, die offen bleiben“. (UP)

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