Studienreise nach Łódź "Warum fährt Theo nach Lodz?"

Bildergalerie der Studienreise

Wissenschaft, Kultur und Ökumene in einer multikulturellen Stadt

Vom 1. bis 5. Oktober 2025 führte die diesjährige Theo-Studienreise 46 Teilnehmende in die polnische Metropole Łódź. Unter dem augenzwinkernden Motto „Theo, wir fahr’n nach Lodz“ verband die Reise wissenschaftliche Neugier, kulturelle Entdeckungen und ökumenische Perspektiven in einer Stadt, die industrielles Erbe, künstlerische Avantgarde und religiöse Vielfalt auf besondere Weise vereint. Organisiert wurde die Studienreise vom Ökumenischen Europa-Centrum Frankfurt (Oder) und der Karl Dedecius Stiftung an der Europa-Universität Viadrina in Kooperation mit der Universität Łódź. Die Schirmherrschaft übernahm Prof. Monika Namysłowska, Honorarkonsulin der Bundesrepublik Deutschland in Łódź.

Annäherungen an eine Stadt

Bereits eine Woche vor der Abreise stimmte ein öffentliches Grenzgespräch an der Europa-Universität Viadrina auf die Reise ein. Unter dem Titel „Theo, wir fahr’n nach Lodz – Annäherungen an eine Stadt“ zeichnete Prof. Karolina Prykowska-Michalak von der Universität Łódź ein facettenreiches Bild der Stadt. Sie führte von der rasanten Industrialisierung des 19. Jahrhunderts über literarische Spiegelungen wie Władysław Reymonts Das gelobte Land bis hin zu Andrzej Wajdas berühmter Verfilmung, deren 50-jähriges Jubiläum 2025 begangen wird. Auch der in Deutschland populäre Schlager „Theo, wir fahr’n nach Lodz“ wurde humorvoll als kulturelles Phänomen eingeordnet. Im Anschluss trafen sich die Teilnehmenden erstmals organisatorisch – ein lebendiger Auftakt, der die thematische Breite der kommenden Tage bereits erahnen ließ.

Ankommen zwischen Erinnerung und Gegenwart

Am frühen Morgen des 1. Oktober startete der Reisebus in Frankfurt (Oder). Die erste Station führte zur Gedenkstätte Kulmhof in Chełmno nad Nerem, dem Ort des ersten deutschen NS-Vernichtungslagers im besetzten Polen. Die Führung machte eindrücklich die Dimensionen der Shoah sichtbar und setzte einen ernsten, nachdenklichen Akzent zu Beginn der Reise.

Nach dem Check-in in Łódź folgte der wissenschaftliche Einstieg an der Philologischen Fakultät der Universität Łódź. Vorträge zur Geschichte der Universität, zur Kulturlandschaft der Stadt und zu polnischen Themen im aktuellen deutschen Theater eröffneten unterschiedliche Perspektiven auf Łódź als akademischen und kulturellen Raum. Prof. Monika Namysłowska gab zudem Einblicke in die Aufgaben und Herausforderungen einer Honorarkonsulin. Der Abend klang bei individuellen Erkundungen der Manufaktura und Gesprächen mit Studierenden über das „multigenerationelle Łódź“ aus.

Religiöse Vielfalt und literarische Stadtspuren

Der zweite Tag stand im Zeichen von Erinnerung, Religion und Literatur. Im Marek-Edelman-Dialogzentrum führte die ehemalige Leiterin Joanna Podolska durch die Ausstellung und den Park der Überlebenden. Ein anschließender Vortrag von Prof. Małgorzata Leyko über das Schicksal jüdischer Tänzerinnen während des Holocaust vertiefte die Auseinandersetzung mit verdrängten Biografien und berührte viele Teilnehmende nachhaltig.

Am Nachmittag eröffnete der Schriftsteller Maciej Robert einen ungewöhnlichen Blick auf die Stadt: Bei einem Spaziergang entlang der Piotrkowska-Straße folgte die Gruppe den Spuren ehemaliger, heute unsichtbarer Flüsse und lernte Łódź als urbane Erzählung kennen. Der literarische Schwerpunkt setzte sich am Abend im Literaturhaus Łódź fort. Gespräche mit der Übersetzerin Sława Lisiecka und Prof. Krzysztof A. Kuczyński über Übersetzungsarbeit, polnisch-deutsche Literaturbeziehungen und die Rolle des Hauses rundeten den Tag ab, bevor ein gemeinsames Abendessen den Austausch vertiefte.

Farben, Fabriken und Musik

Der Freitag begann farbenfroh mit einer Mural-Tour der Fundacja Urban Forms. Die großformatigen Wandbilder machten deutlich, wie sehr Street Art heute zum Stadtbild und zur Identität von Łódź gehört. Danach führte der Weg in die industrielle Vergangenheit: Das Poznański-Palais, eine Führung zur Industriekultur und der Besuch des Fabrikmuseums vermittelten anschaulich die textilindustriellen Grundlagen des einstigen „polnischen Manchester“. Ein praktischer Ekotorba-Workshop schlug dabei eine Brücke zur Gegenwart.

Am Abend stand mit dem Sinfoniekonzert in der Philharmonie Łódź ein musikalischer Höhepunkt auf dem Programm. Werke von Tansman, Spohr und Mozart bildeten einen klassischen Kontrapunkt zum urbanen Tagesprogramm.

Industriekultur und Filmgeschichte

Der Samstag führte nach Księży Młyn, der historischen Industriesiedlung der Familie Scheibler. Geschichte und Architektur dieses einzigartigen Viertels machten sichtbar, wie eng Arbeit, Wohnen und soziale Ordnung miteinander verbunden waren. Nach dem Besuch des Herbst-Palais folgte im Museum der Kinematographie eine Einführung in die Filmgeschichte, die mit Ausschnitten aus Klassikern wie Das gelobte Land und Tango die Bedeutung von Łódź als Filmstadt eindrucksvoll vor Augen führte. Den Abend verbrachte die Gruppe im traditionsreichen Restaurant Anatewka, dessen Geschichte im Rahmen einer kurzen Führung lebendig wurde.

Ökumene und Abschied

Der letzte Reisetag begann mit einem ökumenischen Akzent: Ein mehrsprachiger evangelischer Erntedankgottesdienst in der St.-Matthäi-Kirche bot Raum für gemeinsames Innehalten, alternativ wurde die römisch-katholische Kathedrale besucht. Auf dem Alten Friedhof spiegelten die Grabfelder die religiöse und kulturelle Vielfalt der Stadt wider. Nach einem Zwischenstopp in Konin mit Mittagessen und Altstadtführung kehrte die Gruppe am Abend nach Frankfurt (Oder) zurück.

Fazit

„Warum fährt Theo nach Łódź?“ – diese Frage beantwortete sich in fünf intensiven Tagen voller Begegnungen. Die Studienreise verband wissenschaftliche Reflexion, historische Bildung, kulturelle Entdeckungen und ökumenische Erfahrungen. Łódź präsentierte sich als Stadt, die ihre Vergangenheit nicht verschweigt, ihre Gegenwart aktiv gestaltet und ihre Zukunft neugierig erkundet. Die Teilnehmenden kehrten mit neuen Perspektiven zurück – und mit der Erkenntnis, dass Łódź weit mehr ist als ein Liedtitel.

Projektpartner und Schirrmherrschaft

Konzept und Programm wurden von drei Projektpartnern entwickelt und umgesetzt: dem Oekumenischen Europa-Centrum Frankfurt (Oder) e. V., der Karl Dedecius Stiftung an der Europa-Universität Viadrina und dem Germanistischen Institut der Universität Lodz.

Die Schirmherrschaft übernamm Prof. Monika Namysłowska, Honorarkonsulin der Bundesrepublik Deutschland in Łódź.

Karl Dedecius Stiftung

Dr. Ilona Czechowska

Dr. Małgorzata Szajbel-Keck
HG 262
☏ +49 335 5534 3214
kds@europa-uni.de