Solidarität, Neugier, Scham – Ein Wissenschaftler, eine Studentin, ein Rentner und eine Journalistin berichten, warum sie Ukrainisch lernen

An vier Tagen im März 2023 tauchten 14 Menschen im Sprachenzentrum in die ukrainische Sprache ein. Lektorin Dr. Olesia Lazarenko hatte zum zweiten Mal zum Ukrainisch-Schnupperkurs eingeladen – kostenfrei und offen für alle. Gekommen waren Studierende, Forschende sowie Bürgerinnen und Bürger aus Berlin und Brandenburg.

Ukrainische Bücher liegen aus, die süßen und salzigen Snacks für die Pause stammen aus der Ukraine und selbst die Milch für den frisch gebrühten Kaffee kommt aus einer Packung mit ukrainischer Aufschrift. Olesia Lazarenko umgibt die Besucherinnen und Besucher ihres Schnupperkurses mit dem Ukrainischen – von der Verpflegung bis zum musikalischen Zwischenspiel. Mit großer Freundlichkeit und Leichtigkeit führt die Ukrainisch-Lehrerin, die seit dem Wintersemester 2022/23 das Ukrainisch-Lektorat am Viadrina-Sprachenzentrum leitet, durch den Kurs; eine Sitzung dauert vier Stunden. „Sehr gut“ und „Bravo“ kommentiert sie immer wieder die Bemühungen ihrer Schülerinnen und Schüler, die sagen, wann sie Geburtstag haben, Verben in der Vergangenheitsform beugen und sich bemühen, ein ukrainisches Liebeslied im schnellen Polkatakt mitzusingen. >>>weiterlesen

Unter den Lernenden, die im großen Tisch-U vor ihr sitzen, sind Studierende und Rentner, Frankfurterinnen und Berliner, solche, die bereits viele Sprachen fließend sprechen und solche, die erst vor einer Woche gelernt haben, das ukrainische Alphabet zu entschlüsseln. Einer von ihnen ist der 73-jährige pensionierte Mediziner Frank Stein aus Berlin. Im Tagesspiegel habe er vor einigen Wochen eine kleine Notiz über den Kurs gelesen und sich angemeldet. „Aus Solidarität möchte ich mich in der jetzigen Zeit mit dem Ukrainischen beschäftigen“, sagt er und nimmt dafür gern die vierstündige Fahrzeit pro Unterrichtseinheit in Kauf. Die Unterrichtsstunden seien sehr intensiv, der Stoff reiche noch für die Beschäftigung zu Hause und motiviere ihn, weiterzumachen.

Sein Tischnachbar Daniel Felscher, der an der Viadrina derzeit seine Doktorarbeit schreibt, hat vor dem Schnupperkurs schon mit einer App Ukrainisch gelernt und wird nach dem Kurs weiter an seinen Sprachkenntnissen arbeiten. Seit der Ausweitung des russischen Krieges gegen die Ukraine beschäftige er sich intensiv mit der Materie. „Ich verfolge das in den sozialen Medien, habe mich richtig in das Thema reingeackert“, sagt er. Er habe gemerkt, dass die Debatte um den aktuellen Krieg in Deutschland ganz anders geführt werde. „Die Sprache ist der Zugang zu dem, was da passiert“, ist er überzeugt. Olesia Lazarenko gelinge es sehr gut, ein breites Verständnis der sich dynamisch entwickelnden Sprache zu vermitteln, das nicht bei der Grammatik stehen bleibe.

„Großartig“ findet auch die Rundfunkjournalistin Sabine Tzitschke die Dozentin. „Ich habe hier ein Gefühl für die Ukraine entwickelt; dieses riesige Land mit seiner ganz eigenen Kultur“, sagt die Brandenburgerin. Zum Schnupperkurs sei sie gekommen, weil sie sowohl beruflich als auch privat viel mit Ukrainerinnen und Ukrainern zu tun habe. „Ich habe aus Schamgefühl nicht mehr Russisch sprechen wollen“, sagt sie. Im Kurs hat sie nun auch gelernt, welche Unterschiede es zwischen der russischen und der ukrainischen Sprache gibt, dass das Ukrainische allein zehn Vokale kennt und einen Buchstaben, der erst nach der ukrainischen Unabhängigkeit in das Alphabet aufgenommen wurde.

Ohne Vorkenntnisse in slawischen Sprachen ist die Studentin Charlotte Fischer in den Kurs gekommen. Ihre erste Herausforderung war die Schrift. „Jetzt kann ich das Alphabet fast lesen“, sagt die Literaturstudentin am vierten Tag des Schnupperkurses. Sie genieße den intensiven Input und freue sich auch über die Diversität der Kursteilnehmenden.

Olesia Lazarenko schafft es in dem Kurs über die Unterschiede hinweg für alle Teilnehmenden eine angenehme Lernatmosphäre zu schaffen. Ihre Ansprüche sind dabei so groß wie ihre Geduld. Hinter dem Angebot steckt für die Polonistin und Ukrainistin auch die Motivation, ihre Sprache und ihr Land zu repräsentieren „Durch die Sprache beweise ich, dass diese Kultur wirklich existiert“, sagt sie in der Pause. Es mache sie zufrieden zu sehen, welche Fortschritte die Teilnehmenden zeigen – einige besuchen den Kurs bereits zum zweiten Mal, andere wollen in den regulären Anfängerkurs einsteigen. Den erfolgreichen Abschluss des Schnupperkurses feiern alle gemeinsam mit Zertifikaten und Torte.

Fotos: Heide Fest
Text: Frauke Adesiyan

Abteilung für Hochschul­kommunikation