Junge Perspektiven auf den Rechtsruck: Deutsch-polnisches Seminar zu rechtsradikalen Parteien

Frankfurt (Oder), 

Warum wählen junge Menschen und zugleich mehr Männer als Frauen in Deutschland und Polen rechtsradikale Parteien? Mit dieser Frage haben sich 20 Studierende der Europa-Universität Viadrina und der Universität Warschau in einem gemeinsamen Seminar beschäftigt. Für die Auswertung ihrer Analyse kamen sie im Dezember an der Oder zusammen.

„Junge Menschen sind fast überall besorgt um ihre Zukunft. Das ist ein wichtiger Grund dafür, warum sie radikaleren Positionen gegenüber offener sind.“ Neu ist diese Erkenntnis für Marcin Gołębiewski, Politikwissenschaftsstudent an der Universität Warschau nicht, die dahinterliegenden Gründe allerdings schon. Bei einer Gruppenarbeit fand er mit anderen Studierenden heraus: „Wir haben uns die Ängste und Beschwerden junger Menschen angesehen und untersucht, was ihnen in Bezug auf ihre Zukunft wichtig ist. Das sind im Wesentlichen ihr Beschäftigungsstatus, ihre Wohnsituation und die wirtschaftliche Stabilität.“ Ausführlich diskutierte er in seiner Gruppe über die Details, wie sich die Ergebnisse in Polen und Deutschland unterscheiden.

Webzuschnitte 900x600

Studierende des Seminars (v.l.): Marcin Gołębiewski, Jana Bracharz, Léopold Mille und Jakub Meller

Analyse der Altersgruppe, Wahlprogramme und Medien

Ausgangspunkt für die Studierenden bildete ihre eigene Altersgruppe. Untersucht wurden die Wahlergebnisse der 18- bis 29-Jährigen in Deutschland und Polen sowie die Wahlprogramme und Social-Media-Auftritte der AfD und der Konfederacja. Wo gibt es Ähnlichkeiten, wo Unterschiede in den benachbarten EU-Ländern? „Die Studierenden sollten mittels einer Faktorenanalyse unterschiedlichen Fragestellungen nachgehen“, sagt Dr. Anja Hennig, Politikwissenschaftlerin an der Viadrina. So etwa der Frage, inwieweit es eine Rolle spielt, dass sich ein Teil junger Menschen in beiden Ländern nicht von den etablierten Parteien repräsentiert fühlt.

Auch der Einsatz von Social Media beeinflusse die Wahlentscheidung junger Menschen in beiden Ländern. So fanden die Studierenden etwa heraus, dass die Darstellung der Wahlkampfthemen – etwa bei der Familien-, Migrations- und Wirtschaftspolitik – in direktem Zusammenhang mit einer jungen Zielgruppe stehe. Die rechtsradikalen Parteien verbreiten ihre Inhalte in Videos auf Plattformen wie YouTube oder TikTok, die von vielen jungen Menschen genutzt werden.

Bei dem Auftakt-Workshop im Oktober in Warschau waren die Studierenden mit Dr. Anja Hennig und ihrem Kollegen Prof. Dr. Wojciech Gagatek (Universität Warschau) – ehemaliger Gastprofessor an der Viadrina – in die Grundlagen der Rechtsradikalismusforschung eingetaucht. „Wir haben uns bereits 2023 in einem Seminar mit den Parlamentswahlen 2023 in Polen beschäftigt. Dieses Seminar knüpft vom didaktischen Aufbau daran an“, so Hennig. Der Fokus lag damals aber darauf, zu analysieren, wie deutsche Parteien und die Medien auf die Ergebnisse in Polen reagierten. Durch die Mischung der Studierenden wurde auch ein europäischer Kontext sichtbar.

Ländervergleich im europäischen Kontext

„Ich sehe, dass es auf kontinentaler Ebene populistische Kräfte gibt, insbesondere auf der rechten Seite, was sehr beunruhigend ist“, sagt Jana Bracharz, Studentin im Masterprogramm European Studies an der Viadrina. „Das ist aus meiner Sicht sehr spannend, denn in Frankreich ist diese Entwicklung auch fortgeschritten.“ Ursprünglich kommt die Studentin aus Straßburg. An der Viadrina studiert sie nun im Doppelmasterprogramm. „Es ist interessant, die polnische Perspektive zu haben, denn mit der PIS-Regierung haben wir gesehen, wie fragil Demokratie tatsächlich ist. Es ist daher sehr nützlich, mit polnischen Studierenden zu studieren, die dies tatsächlich erleben. Zusammen können wir darüber diskutieren, wie wir auf diese demokratischen Herausforderungen reagieren können – und zwar gemeinsam aus einer europäischen Position heraus.“

Diese Verbundenheit sieht auch ihr Mitstudent Léopold Mille, ebenfalls Student im Doppelmasterprogramm European Studies an der Viadrina.

Ich finde die Idee des Seminars wirklich gut, weil es darum geht, diese Bedrohungen anzugehen, die wir über die Grenzen der EU hinweg in allen Ländern haben.

Léopold Mille, Masterstudent European Studies (Viadrina)

Die Punkte, die in dem Seminar herausgearbeitet wurden, existierten in gewisser Weise auch in Frankreich. „Es geht darum, gemeinsam daran zu arbeiten und zu sehen, wo unsere Unterschiede und auch Gemeinsamkeiten liegen“, sagt Léopold Mille.

Die räumliche Distanz spielte bei dem Seminar weniger eine Rolle. Nach dem ersten Treffen in Warschau, welches auch dem Kennenlernen diente, fanden fünf Treffen online statt. Das Wiedersehen an der Oder ermöglichte den Studierenden nicht nur das Erkunden der Viadrina, sondern auch der Doppelstadt Frankfurt (Oder)-Słubice. Dass es denkbar ist, dass Grenzen verschwinden können, zeigte ihnen der Aktionskünstler Michael Kurzwelly mit seinem Projekt „Slubfurt“ – einer fiktiven Stadt bestehend aus Słubice und Frankfurt (Oder). Und vielleicht wird es auch in dem von den Studierenden analysierten Thema sichtbar: politische Herausforderungen angehen über Grenzen hinweg.


Finanziell unterstützt wird das Seminar von der Stiftung für Deutsch-Polnische Zusammenarbeit.

Katrin Hartmann

Masterprogramm European Studies

Beitrag teilen:


Zurück zum Newsportal

Abteilung für Hochschulkommunikation