„Ein intellektueller Schmaus“ – Symposium Bartoszewski Promemoria über die demokratische Kultur in der Krise
Über „Kulturen der Demokratie“ diskutierten deutsche und polnische Wissenschaftler*innen am 13. November bei der fünften Ausgabe des Symposiums Bartoszewski Promemoria im Logensaal. Sechs Stunden lang beleuchteten sie den sorgenerregenden Zustand der freiheitlichen Demokratie aus religiöser, kultureller, rechtlicher und wissenschaftlicher Perspektive. Ein Mitschnitt der Veranstaltung ist online anzusehen.
„Diese Diskussionsreihe ist eine Art intellektuelles Denkmal für Bartoszewski, gleichzeitig eine Quelle der Inspiration, ein Leuchtturm und ein Wegweiser in schwierigen Zeiten.“ Mit diesen einleitenden Worten gab Elżbieta Sobótka den Rahmen des Symposiums Bartoszewski Promemoria vor. Die ehemalige Generalkonsulin der Republik Polen in Deutschland betonte, dass sich Europa im Konflikt mit sich selbst befinde und nannte Krieg, die Aushöhlung des Rechts und Zweifel am „Exportgut Demokratie“ als nur einige der vielen aktuellen Herausforderungen.
Galerie Bartoszewski Promemoria
Dass das gemeinsame Denken und Sprechen in diesen Zeiten wichtiger ist denn je, betonte Prof. Dr. Monika Namysłowska, Honorarkonsulin Deutschlands in Łódź. „In einer Zeit, in der wieder Grenzen in unseren Köpfen entstehen, brauchen wir Orte, an denen wir gemeinsam denken können“, sagte sie. Das Symposium an der Viadrina gebe dafür Raum. Ein Umstand, den Jobst-Hinrich Ubbelohde vom Oekumenischen-Europa Zentrum in Frankfurt (Oder) in seinem Grußwort hervorhob. An die Viadrina gerichtet forderte er, Expertise und Netzwerke zu nutzen, um konkrete Brücken aufzubauen und Forschung zu betreiben, die handlungsorientierte Empfehlungen liefere und eine Beziehung zur Gesellschaft herstelle. Mit Blick auf das Thema sagte er: „Demokratische Kultur bedeutet mehr als die Wahlurne.“ Sie lebe auch von respektvoller Kommunikation und von der Kompetenz, Fakten zu prüfen. Demokratische Kultur sei das Gewebe, das soziale Spannungen kanalisieren kann. „Wenn das Gewebe reißt, wackeln die Institutionen“, so Ubbelohde.
Zum Online-Mitschnitt der Veranstaltung
Nach den Grußworten sprach Dr. Patrick Roger Schnabel, Theologischer Referent bei der Bevollmächtigten des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, zum Thema: „Religionsgemeinschaften in Europa – Stützen oder Gefährdung der demokratischen Kultur?“
Im Anschluss folgten Gesprächsrunden zu den Themen
„Rechtskultur und die Herausforderungen für das öffentliche Recht“ mit
• Prof. Dr. Natalia Kohtamäki, Kardinal-Stefan-Wyszyński-Universität Warschau
• Prof. Dr. Stefan Haack, Europa-Universität Viadrina
• Moderation: Dr. Ziemowit Cieślik, Kardinal-Stefan-Wyszyński-Universität Warschau
„Wissenskulturen und Demokratie“ mit
• Prof. Dr. Dominika Kasprowicz, Villa Decius / Jagiellonen-Universität Krakau
• Prof. Dr. Matthias Schloßberger, Europa-Universität Viadrina
• Prof. Dr. Andreas Bähr, Europa-Universität Viadrina
• Moderation: Prof. Dr. Gangolf Hübinger, B/ORDERS IN MOTION, Europa-Universität Viadrina
„Potenzial der Kulturen“ mit
• Prof. Dr. Urszula Glensk, Universität Wrocław
• Prof. Dr. Monika Namysłowska, Honorarkonsulin in Łódź
• Dr. Jens Mittelbach, Universitätsbibliothek, Europa-Universität Viadrina
• Moderation: Dr. Ilona Czechowska, Karl Dedecius Stiftung, Europa-Universität Viadrina
Nach den intensiven Gesprächsrunden und den musikalischen Zwischenspielen vom Ensemble Bizarre Berlin, schloss Prof. Dr. Irena Lipowicz von der Kardinal-Stefan-Wyszyński-Universität Warschau das Symposium mit einem nachdenklich stimmenden Resümee. „Das was so ein reiches Symposium, ein intellektueller Schmaus. Ich fühlte mich selten so sehr als Europäerin wie heute“, sagte die Viadrina-Preisträgerin von 2014. Trotz aller Zufriedenheit über den „intellektuellen Schmaus“ machte aber auch sie auf die enormen Probleme aufmerksam. „Wir sitzen auf einem schmelzenden Gletscher des demokratischen Rechtsstaates“, warnte sie. Dieser sei gefährdet durch den „aggressiven großen Nachbarn“ Russland auf der einen und den Techno-Feudalismus auf der anderen Seite. Beide verursachten ihren Beobachtungen nach auf verschiedenen Wegen eine Deaktivierung der Gemeinschaft, den Vertrauensverlust in den Staat und eine multidimensionale Desinformation.
Das Symposium habe neben der Bestandsanalyse aber auch Ideen für die Problembehandlung gebracht, so Irena Lipowicz: von der gelebten Empathie über einen gerechten Zugang zu Informationen, den Wert von Bibliotheken und des interkulturellen Austausches bis zur Erkenntnis, dass jede*r Einzelne eine Verantwortung für den gesellschaftlichen Zustand Europas habe. Ihr Fazit lautete: „Das Wichtigste ist eine Kultur der Resilienz.“
Frauke Adesiyan
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