Zwischen Geschlechterpolitik und Kulturkampf – Prof. Dr. Sarah Speck im „Streit ums Politische“
Geht der queere Feminismus zu weit? Warum ist das feministische Projekt unvollendet? Wie politisiert die Rechte Geschlechterfragen? Darüber sprach der Soziologe Heinz Bude am 10. November 2025 mit Prof. Dr. Sarah Speck, Geschlechterforscherin und Inhaberin der Professur für Vergleichende Kultursoziologie an der Viadrina. Das Gespräch fand im Rahmen der Reihe „Streit ums Politische. Was, wenn wir falsch lagen?“ in der Berliner Schaubühne statt und ist weiterhin online zu sehen.
Einen kritischen Blick auf linke, liberale und progressive Überzeugungen zu werfen, ist das Ziel von Heinz Bude in seiner Gesprächsreihe „Was, wenn wir falsch lagen?“. Sein Ansatz: Wenn sich die Deutungshoheit verschiebt und Befürworter*innen von Emanzipation in die Defensive geraten, was sagt das über bisherige Gewissheiten, beispielsweise über die Gleichstellung der verschiedenen Geschlechter? Viadrina-Soziologin Sarah Speck ließ sich von den bewusst provokanten Fragen auf der Bühne nicht aus der Ruhe bringen. „Es ist falsch, Geschlechterpolitiken vor allem als Kulturkämpfe zu deuten. Es ist fundamental, zu verstehen, dass es um Fragen der Arbeitsteilung geht, um ökonomische Fragen, Fragen der Ausbeutung, der Sorge, der Überlastung, der Lebensbedingungen“, machte sie deutlich. Alles als Kulturkämpfe zu rahmen, sei ein rechtes Projekt, warnte sie.
Sarah Speck im Gespräch mit Heinz Bude
Die feministische Revolution – vom Wahlrecht bis zur Erwerbsquote – gehöre zu den erfolgreichsten kulturellen Revolutionen weltweit, erklärte Sarah Speck. Beispielsweise lasse sich die Anerkennung diverser Familienmodelle nicht mehr zurückdrehen. Gleichzeitig gebe es weiterhin große Ungleichheiten: So erledigen Frauen im Schnitt einen vollen Arbeitstag pro Woche unbezahlte Pflegeaufgaben mehr als Männer. „Und wir haben keine sinkenden Zahlen bei häuslicher Gewalt gegen Frauen und Menschen, die aus der heterosexuellen Ordnung ausscheren“, betonte die Kultursoziologin.
Das feministische Projekt sei unvollendet. „Es ist nicht zu weit gegangen, es ist nicht weit genug gegangen“, konterte sie die These von Heinz Bude, dass der Queer-Feminismus, der non-binäre Lebensweisen und Geschlechterrollen miteinschließt, in der breiten Gesellschaft nicht anschlussfähig sei. Für Sarah Speck ist diese jüngste Welle des Feminismus lediglich eine konsequente Ausweitung der Forderungen, die es auch schon früher gegeben habe. „Die queer-politische Bewegung radikalisiert bestimmte Annahmen, die auch zuvor zentral waren: Geschlecht als Zwangskorsett und gesellschaftlichen Platzanweiser. Die feministische Bewegung hat diese Grenzen schon immer infrage gestellt und bekämpft.“
Sarah Speck unterstrich, dass die Ablehnung non-binärer Lebensweisen und Geschlechtervielfalt in rechten Ideologien von immenser Bedeutung sei. „Das zentrale affektive Bindeglied der Rechten ist Misogynie. Die Rechte politisiert ganz bewusst Geschlecht, um Affekte für ihre Sache zu mobilisieren“, sagte sie. Wer nicht verstehe, worum der Kampf des queeren Projektes gehe, vergebe die Chance auf ein Leben in Sicherheit und Gewaltfreiheit für alle.
Nicht die queeren Themen seien das Problem des Feminismus, so Sarah Speck. „Ich sage, es sind andere Dinge falsch gelaufen: Es ist ein Problem, dass sich feministische Emanzipation nach männlichem Vorbild gestaltet.“ Der Maßstab sei immer die Erwerbsarbeit gewesen, alle Probleme dahinter seien marginalisiert worden. „Nun lautet die Antwort: Du bist überlastet, hast drei Kinder und einen 40-Stunden-Job …? Mach' doch Yoga!“ Diese Individualisierung von strukturellen Problemlagen prangerte Sarah Speck an.
Zum Ende des Gesprächs wechselten Heinz Bude und Sarah Speck auf eine individuelle Ebene. Die Kritik an Geschlechterzuweisungen und angeblich weiblichen und männlichen Idealtypen müsse weitergehen, fordert die Geschlechterforscherin. Dabei gehe es um das Aufweichen von Geschlechtergrenzen und Zuweisungen bestimmter Eigenschaften in „uns allen“. Es sei nötig, diese zugeschriebenen Grenzen zur überschreiten und anzuerkennen, „dass wir alle zugerichtete Wesen sind“. Auf die Frage von Heinz Bude, ob es eine gute Männlichkeit gebe, antwortete Sarah Speck: „Es gibt eine gute Menschlichkeit.“
Frauke Adesiyan
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