Gebrochene Traditionen – Promotionskolleg über jüdische Kultur im NS-Deutschland eröffnet

Frankfurt (Oder), 

Am 4. November 2025 wurde das interdisziplinäre Promotionskolleg „Gebrochene Traditionen? Jüdische Literatur, Philosophie und Musik im NS-Deutschland“ feierlich eröffnet. Die Doktorand*innen beschäftigen sich mit künstlerischen und intellektuellen Position von Jüdinnen und Juden im nationalsozialistischen Deutschland. Zur Eröffnung sprach der deutsch-israelische Historiker und Autor Prof. Dr. Dan Diner über „Jüdische Fragen – Weltliche Antworten“.

„Warum entscheiden Sie sich für die Bedeutungslosigkeit, statt mitzuschreiben am Algorithmus der Zukunft?“, fragte Prof. Dr. Christoph Brömmelmeyer, Vizepräsident für Forschung an der Viadrina, provokant in Richtung der Stipendiat*innen des Kollegs. Angesichts einer aktuell vielfach betriebenen Demontage der Geisteswissenschaften halte er es für erstaunlich, dass sich „junge Leute“ auf das Thema des Kollegs einlassen, stichelte er weiter, um dann schnell einzulenken: „Wie sehr ich Sie beneide!“ Gar nicht aus der Zeit gefallen sind schließlich die Themen, mit denen sich die Promovierenden beschäftigen, etwa den subversiven Schreibstrategien jüdischer Autor*innen. Mit denen ließe sich auch eine Künstliche Intelligenz überlisten, um Widerstand zu verschlüsseln, überlegte Brömmelmeyer. Schließlich betonte er, dass die nun entstehenden Arbeiten über jüdische Kulturschaffende der NS-Zeit auch dazu beitragen, „dass wir Verantwortung dafür tragen, dass sich die Schicksale nicht wiederholen“.

Eröffnung Promotionskolleg Gebrochene Traditionen

Im Zentrum des von der Hans Böckler Stiftung finanzierten Promotionskollegs steht laut Prof. Dr. Kerstin Schoor das Bemühen, Jüdinnen und Juden nicht allein als Opfer darzustellen, die passiv und unentrinnbar den NS-Verbrechen entgegensahen. Es sei der Versuch, verfolgte jüdische Kulturschaffende und Intellektuelle als Träger und Akteure einer literarischen, intellektuellen und musikalischen Kultur sichtbar zu machen, betonte Kerstin Schoor, die das Kolleg gemeinsam mit Prof. Dr. Christian Wiese von der Goethe-Universität Frankfurt am Main und Prof. Dr. Jascha Nemtsov von der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar leitet. In den Promotionen gehe es außerdem darum, inwieweit die damaligen kulturellen Aktivitäten auch „als Ausdruck geistigen Widerspruchs in einer Zeit forcierter Gleichschaltung“ beschrieben werden können. Die Brüche von 1933 mit der anschließenden Ausgrenzung und Verfolgung habe unter jüdischen Künstler*innen zu einer verstärkten kritischen Reflexion von Traditionen und einer Neubestimmung künstlerischer Standpunkte geführt. Auch unter den Vorzeichen der Verfolgung seien sie Mitgestalter einer gemeinsamen deutschen Geschichte.

„Wir wollen darstellen, was von jüdischen Intellektuellen in jenen harten Jahren geschaffen worden ist. Wir begreifen sie als Handelnde, als Akteure, als Träger einer intellektuellen, literarischen und musikalischen Kultur“, beschreibt Doktorandin Charlotte Lenger die Aufgabe des Kollegs. Dabei sei es das gemeinsame Anliegen der Promovierenden, „vergessene oder unbeachtete Primärquellen wissenschaftlich auszuwerten und diesen die Aufmerksamkeit zu schenken, die sie verdient haben“. In ihrer eigenen Arbeit beschäftigt sie sich mit Spannungen zwischen jüdischen Traditionen und europäischer Moderne und schaut dabei gezielt auf sich verändernde literarische Darstellungen von Weiblichkeit. Sibel Tayçimen, die ebenfalls bei der Eröffnung kurz ihr Promotionsvorhaben vorstellte, betonte die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Rahmen des Kollegs. Sie selbst beschäftigt sich aus philosophischer und literaturwissenschaftlicher Perspektive mit der Frage, wie sich ausgewählte Autor*innen literarisch mit den Ideen und Idealen der Aufklärung auseinandersetzen. 

„Ein wenig Wasser in den Wein der Freude zu träufeln“, war laut eigener Aussage das Ziel von Dan Diner, emeritierter Professor für Moderne Geschichte der Hebräischen Universität Jerusalem. Der deutsch-israelische Historiker sprach in seinem Festvortrag über den Zustand der Jüdischen Studien. Für diese seien unwirtliche Zeiten angebrochen. Das Gedächtnis der jüdischen Fragen vor allem im Zusammenhang mit dem Holocaust erodiere angesichts weltpolitischer Deutungen. In den vergangenen zwei bis drei Jahren habe sich bei ihm – vor allem durch den Gazakrieg ausgelöst – der Eindruck ergeben, dass sich Assoziationen zum Holocaust immer weiter in Richtung Gaza bewegen. Diner zeigte sich trotz allem davon überzeugt, dass Jüdische Studien „von allergrößter Bedeutung“ seien, auch wenn sie als akademischer Gegenstand unter Umständen eine Erosion vor sich hätten.

Der Eröffnungsabend endete mit einem Konzert der Sopranistin Tehila Nini Goldstein und Jascha Nemtsov am Klavier.  Sie interpretierten in ihrem Programm „Auf den Flügeln jüdischen Gesangs: Jüdische Musik in Zeiten von Verfolgung“ Werke jüdischer Musiker*innen aus den 1930er- und 1940er-Jahren.

Frauke Adesiyan

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