Jenseits des Bolschewismus – Preisgekrönte Dissertation von Rhena Stürmer zeichnet Lebenswege von Linkskommunisten nach

Frankfurt (Oder) / Leipzig, 

Dr. Rhena Stürmer hat gleich zwei Preise für ihre Doktorarbeit mit dem Titel „Jenseits des Bolschewismus. Lebenswege Weimarer Linkskommunisten zwischen den Systemen des 20. Jahrhunderts“ erhalten. Die von Viadrina-Historiker Prof. Dr. Werner Benecke betreute Arbeit wurde am 18. September 2025 mit dem Claus-Dieter Krohn Preis für Exilforschung und am 13. September mit dem Förderpreis der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg geehrt. Die Arbeit ist soeben im Wallstein Verlag erschienen und kann auch im Open Access heruntergeladen werden.

Frau Stürmer, was interessiert Sie an den Linkskommunisten, wie sind Sie zum Thema Ihrer Dissertation gekommen?

Bereits während meines Studiums begann ich, mich mit den deutsch-russischen Beziehungen und der Geschichte der politischen Linken zu beschäftigen. In meiner Masterarbeit untersuchte ich dann Reiseberichte von deutschen Kommunisten, die 1931 nach einem mehrmonatigen Aufenthalt in der Sowjetunion enttäuscht nach Deutschland zurückkamen. In der Folgezeit interessierte mich, welche Formen der kritischen Auseinandersetzung mit der Sowjetunion es innerhalb der deutschen Linken gab. Dabei stieß ich auf die 1920 gegründete Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands (KAPD), die bereits sehr zeitig vor autoritären und staatskapitalistischen Tendenzen in der Sowjetunion warnte. Zur Partei selbst gibt es schon einige – wenn auch etwas ältere – Forschungen, und so entschloss ich mich, die Geschichte des Linkskommunismus größer zu fassen: Ich stellte konkrete Personen als handelnde Akteure in den Mittelpunkt meiner Untersuchung, auch um die Vorgeschichte und die Zeit nach dem Ende der KAPD 1923/24 zu integrieren. Die Wahl fiel auf Karl Schröder (1884–1950), Alexander Schwab (1887–1943), Bernhard Reichenbach (1888–1975) und Adam Scharrer (1889–1948), die bisher noch nicht umfassend biografisch erforscht worden waren.

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Bei der Verleihung des Claus-Dieter Krohn Preises: Preisträgerin Dr. Rhena Stürmer (Mitte)  mit Sven Tetzlaff (Geschäftsführer der Weichmann Stiftung) und Laudatorin PD Dr. Franka Maubach

Was ist das Besondere an dieser biografischen Arbeit im Rahmen der historischen Forschung?

Wenn man sich mehrere Jahre mit einer kleinen Personengruppe beschäftigt, dann erlebt man die einzelnen historischen Phasen, die sie durchlebten, noch einmal ganz anders. Als Historikerin weiß ich natürlich, wie die jeweilige Entwicklung ungefähr ausging; aber durch die Augen der Akteure die Zeit der frühen Weimarer Republik, den Aufstieg des Nationalsozialismus oder den Stalinismus der 1930er- und 1940er-Jahre nachzuvollziehen, war sehr eindrücklich und führte zu neuen Beobachtungen und Erkenntnissen.

Eine besondere Perspektive entstand durch die Exilzeit Adam Scharrers: Er – ein früher Kritiker der Sowjetunion – reiste 1934 nach seiner Flucht aus Deutschland zuerst nach Moskau, später dann in die Schwarzmeer-Region, und sah sich dort mit den katastrophalen Verhältnissen in der kollektivierten Landwirtschaft konfrontiert. Es erforderte von ihm einen außerordentlichen Balanceakt, sich einerseits für eine Verbesserung der Lebensverhältnisse für die Bevölkerung einzusetzen, andererseits den repressiven Behörden auszuweichen und sich anzupassen.

 

Was waren für Sie die größten Herausforderungen beim Recherchieren und Verfassen Ihrer Doktorarbeit?

Die COVID-19-Pandemie erschwerte meine Forschung schon erheblich: Archiv- und Bibliotheksschließungen führten zu Verzögerungen. Archivbesuche im Ausland waren lange nicht und schließlich gar nicht möglich – was wirklich schade war.

Darüber hinaus war es nach dem Studium schwierig, ein so großes Forschungsprojekt zu überblicken. Da halfen nur eine kleinteilige Planung und der Austausch mit anderen in einer ähnlichen Situation. Auch die Frage der Finanzierung war zunächst offen; dementsprechend war ich sehr dankbar, dass ich durch die Anschubfinanzierung der Viadrina und ein Promotionsstipendium der Rosa-Luxemburg-Stiftung einige Jahre sorgenfrei forschen konnte.

 

Am Ende stehen nun die Veröffentlichung und gleich zwei Preise. Was bedeuten Ihnen die Auszeichnungen?

Zu Beginn meiner Arbeit an diesem Thema war ich mir etwas unsicher, ob es nicht zu abseitig anmuten würde. Daher empfinde ich die beiden Auszeichnungen als sehr bestärkend für das, was ich die letzten Jahre erforscht habe. Mir hat die Arbeit an der Doktorarbeit bis zum Abschluss Freude bereitet, und ich bin sehr froh, dass meine intensiven Bemühungen von diesen zwei Institutionen gewürdigt werden und nun meine vier untersuchten Akteure öffentliche Aufmerksamkeit erfahren.

 

Was war für Sie ausschlaggebend dafür, die Wissenschaft zum Beruf zu machen?

Ich denke, dass mich am stärksten meine Neugier dazu gebracht hat, weiter im wissenschaftlichen Bereich arbeiten zu wollen. Ich kann Neues in Archiven entdecken, eine eigene Erzählung zu historischen Ereignissen entwickeln und unbekannte Akteure sichtbar machen. Im besten Falle hilft die Geschichtswissenschaft dabei, die gegenwärtige Welt etwas zu verbessern. Außerdem ist die universitäre Lehre etwas, was mir wirklich Spaß macht. Darüber kann man dann auch oft die Unsicherheiten vergessen, die ein Beruf in der Wissenschaft mit sich bringt.

Zur Person

Rhena Stürmer kam 2011 für ihr Bachelor-Studium in Kulturwissenschaften an die Viadrina. Im Anschluss absolvierte sie bis 2017 ihren Master in Europäischer Kulturgeschichte, ebenfalls an der Europa-Universität und begann 2018 mit ihrer Promotion, die sie 2024 abschloss. Seit Oktober 2022 ist Rhena Stürmer wissenschaftliche Mitarbeiterin am Historischen Seminar der Universität Leipzig.

Zum Buch

Rhena Stürmers Buch „Jenseits des Bolschewismus. Lebenswege Weimarer Linkskommunisten zwischen den Systemen des 20. Jahrhunderts“ ist beim Wallstein Verlag erschienen. Neben der gedruckten Ausgabe steht das Werk kostenfrei als Open-Access-Publikation zur Verfügung.

Frauke Adesiyan

Informationen zum Buch und Download

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