Erinnern und Bewahren in Kriegszeiten – Projekt Cultural Guardians macht an der Viadrina Halt
Wie schützt man Kulturgüter in Kriegszeiten, wie geht die Arbeit in Museen weiter, wenn Bomben fallen und wie bereitet man sich für den Wiederaufbau vor? Mit solchen Fragen im Kopf reisen aktuell sieben Vertreterinnen von ukrainischen Museen im Rahmen des Projektes „Cultural Guardians“ durch Polen, Brandenburg und Berlin. Am 2. und 3. September haben sie sich an der Viadrina mit Prof. Dr. Paul Zalewski und dem Kompetenzverbund Interdisziplinäre Ukrainestudien (KIU) ausgetauscht.
Exponate vor Bombenangriffen verstecken, Museen evakuieren, Geflüchtete versorgen statt Ausstellungen zu kuratieren – die sieben Ukrainerinnen, die im Rahmen des Projektes „Cultural Guardians“ an die Viadrina gekommen sind, haben in den vergangenen Jahren seit der Vollinvasion Russlands einen für sie sehr ungewöhnlichen Arbeitsalltag. Und sie stehen vor der Frage, welche Herausforderungen sie künftig erwarten und wie sie diese bewältigen können. „Eines Tages wird dieser Krieg zu Ende gehen und ich möchte auf diese Situation vorbereitet sein. Wie sollen wir den Menschen dann erklären, welchen bösen Nachbarn wir haben, was unsere Vergangenheit ist und was unsere Zukunft?“, umreißt Kateryna Hryshchenko die Gedanken, mit denen sie an dem Projekt teilnimmt. Die Historikerin arbeitet für das Nationale Historische Museum Dmytro Yavornytsky in Dnipro. Der Krieg hat ihren Blick auf ihren Beruf verändert. „Wir Historiker*innen waren auf den Krieg nicht vorbereitet. Aber die Menschen haben sich in der Krise Museen zugewandt. Wir haben in dieser Situation eine gewisse Autorität“, sagt sie.
galerie cultural guardians
Über das gewandelte Selbstverständnis denkt auch Oksana Zhmurko nach, die als Vertreterin des Andrey Sheptytsky Nationalmuseums in Lwiw an dem Projekt teilnimmt. Sie hat im Frühjahr 2022 erlebt, wir ihr Museum zu einem Ort des mentalen Trosts geworden ist und dass Museen Möglichkeiten bieten, die ukrainische Identität neu zu finden. Auf die Reise zu polnischen und deutschen Museen, Wissenschafts- und Kultureinrichtungen geht sie mit dem Ziel, die ukrainische Kultur bekannter zu machen: „Wir müssen in Europa sichtbar sein und die Kultur ist eine Möglichkeit, um das zu erreichen. Wenn du jemanden nicht kennst, hilfst du auch nicht.“
Das sagt sie am Rande einer Stadtführung, bei der Prof. Dr. Paul Zalewski den Ukrainerinnen die Frankfurter Innenstadt erklärt. An der Marienkirche, dem Rathaus aber auch dem Anger mit seinem sowjetischen Ehrenmal zeigt der Denkmalschutz-Experte der Viadrina die Brüche in Frankfurts Geschichte auf und wie sie sich in das Stadtbild eingeschrieben haben. Es sind diese Erfahrungen im Umgang mit Krieg, Zerstörung und Wiederaufbau, die Kateryna Hryshchenko besonders interessieren. „Ich will Ideen dafür sammeln, was Ukrainer*innen in der Zukunft gebrauchen können. Es war nicht der erste und wird nicht der letzte Krieg in Europa sein. Diese Erfahrung können wir nutzen“, sagt sie. Eine Idee, die Dr. Susann Worschech vom KIU teilt: „Wir kommen mit den Cultural Guardians darüber ins Gespräch, wie man das Bewusstsein für die Notwendigkeit des Wiederaufbaus erschafft und erhält.“ Gerade am Beispiel Frankfurt könne man gut sehen, wie schwierig es sei, mit den Brüchen umzugehen. „Wir tauschen uns auch darüber aus, wie man Wege finden kann, die Brüche nicht zuzukleistern und die Geschichte anzunehmen und zu akzeptieren. Dieser Umgang sagt uns etwas darüber, wie wir zukünftig leben wollen.“
Schirmherrin des Projektes ist Dr. Manja Schüle, Brandenburgs Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur. Sie betont die gute Zusammenarbeit der verschiedenen Projektpartner in der Pilotphase des Vorhabens: „Besonders freue ich mich über den engen Schulterschluss zwischen der Europa-Universität Viadrina, den Brandenburger Kulturinstitutionen, der Vereinigung der Denkmalfachämter und dem ukrainischen Museumsnetzwerk OBMIN." Die Viadrina sei dabei der ideale Partner auf wissenschaftlicher Seite: „Im Kompetenzverbund Interdisziplinäre Ukrainestudien fließen wissenschaftliche Expertise, Praxiswissen und Netzwerkbildung zusammen – das alles wird benötigt, um Kulturgüter zu schützen", so Manja Schüle.
Susann Worschech macht bei der Begrüßung der Gruppe an der Viadrina deutlich, dass sie über den Austausch mit den Praktikerinnen besonders dankbar sei, weil der KIU bewusst den Austausch über die Wissenschaft hinaus sucht: „Uns ist wichtig, aus dem Elfenbeinturm rauszugehen und von Ukrainerinnen und Ukrainern auch außerhalb der Universitäten zu erfahren, wo wir unterstützen können und welches Wissen gebraucht wird.“
Neben allem Austausch, Netzwerken, Lernen und Besichtigen kommt etwas für die deutschen Partner Selbstverständliches hinzu, das die Ukrainerinnen zu schätzen wissen: die Abwesenheit von Krieg. „Um ehrlich zu sein, ist es einfach so erholsam, nicht ständig den Luftalarm zu hören“, sagt Kateryna Hryshchenko. Sie erklärt: „Wir erleben seit Jahren einfach zu viel Anspannung. Wir sind sehr müde und ich bin dankbar für die Möglichkeit, dass wir uns hier in Ruhe professionell austauschen können.“ Die kulturelle Perspektive in der aktuellen Lage nicht zu vergessen, ist ein Anliegen, das sie mit den anderen Teilnehmerinnen vereint: „Wir haben viele Probleme in der Ukraine und nicht alle können mit Geld oder Waffen gelöst werden.“
Cultural Guardians
Neben der Stadtführung durch Frankfurt (Oder) besuchten die Teilnehmerinnen an der Viadrina einen Workshop mit Prof. Dr. Paul Zalewski zum Denkmalschutz und unternahmen eine Exkursion nach Neuzelle. Zuvor hatten sie bereits in Warschau und Łódź Museen besucht. Im Anschluss an diese Studienreise gehen die Teilnehmerinnen in der folgenden Woche in polnische, Berliner und Brandenburger Kultureinrichtungen, um dort Kolleg*innen zu begleiten und sich mit ihnen auszutauschen.
Finanzielle Unterstützung erhält das Projekt von der Gerda Henkel Stiftung, der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit und der Wüstenrot Stiftung.
Frauke Adesiyan
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