„Alles beginnt mit Worten, jeder Konflikt, jede Aggression“ – Prof. Dr. Yuliya Krylova-Grek untersucht russische Propaganda-Narrative

Frankfurt (Oder), 

Der Krieg in der Ukraine sei nicht nur eine militärische Auseinandersetzung, sondern auch eine Form des Informationskrieges, sagt Prof. Dr. Yuliya Krylova-Grek, Professorin an der Kyjiw-Mohyla-Akademie und Forscherin an der Uppsala-Universität. Sie war eine der ersten Fellows im Kompetenzverbund Interdisziplinäre Ukrainestudien (KIU), die für einen dreimonatigen Forschungsaufenthalt an die Viadrina kam. Bei einem Vortrag sprach sie über anti-ukrainische Mythenbildung, die Doppelfunktion von Sprache und dominante russische Propaganda-Narrative.

An die Wand im Gräfin-Dönhoff-Gebäude, Raum 102, ist ein Bild projiziert, auf dem ein Gesicht zu sehen ist, welches sich in Puzzleteile aufzulösen scheint. Unter den Puzzleteilen stehen die Worte „Words matter“ – Worte haben Bedeutung; sie haben die Macht, die öffentliche Meinung zu formen. Sie stehen neben dem Veranstaltungstitel „Ukraine and Russia: Deconstructing Myths and Analysis of Propaganda Narratives”. Dazu forscht Prof. Dr. Yuliya Krylova-Grek.

Yuliya Krylova-Grek

Sie ist auf Sozio- und Psycholinguistik spezialisiert und eine der KIU-Fellows, die im vergangenen November für ein Forschungsstipendium an die Viadrina gekommen waren. In ihrer Forschung befasst sich Yuliya Krylova-Grek mit russischen Narrativen über die Ukraine, wie sich diese verändert haben und wie russische Propaganda rhetorisch funktioniert. Propaganda meint hier nicht nur, welche sprachlichen und textlichen Erzählungen in Medien kursieren, sondern schließt ihre Auswüchse auch in Bildung und Kunst mit ein.

„Alles beginnt mit Worten, jeder Konflikt, jede Aggression.“ Wie viel Gewicht Worte haben, dass sei besonders in der Politik und dem öffentlichen Diskurs sehr bedeutsam, erklärt Krylova-Grek. In ihrer Forschung schaue sie sich die Entwicklungen seit 2012 an: offizielle Regierungskommunikation, mediale Berichterstattung, Social-Media-Inhalte. Einen narrativen Bruch sehe sie 2014. Vorher sei es weitgehender Konsens in Russland gewesen, dass die Ukraine unabhängig ist. Mit den beginnenden Euromaidan-Protesten Ende 2013 habe Russland Angst bekommen, dass sich die Ukraine dem geopolitischen Einfluss Russlands entziehen könnte, erklärt Krylova-Grek. Narrative, die nach 2014 bis 2021, nach Annexion der Krim und dem beginnenden Krieg in der Ost-Ukraine, besonders forciert wurden: dass die Ukraine historisch zu Russland gehöre, Ukrainer und Russen ein Volk seien. „Seit 2014 ist nicht ein einziger Tag vergangen ohne Desinformation in russischen Medien“, konstatiert die Linguistin.

Seit 2022 habe sich die gezielte Desinformation noch verdichtet. Beispielsweise wurden Aufforderungen zur Zerstörung der Ukraine „als politische Nation“ oder die Assimilierung aller Ukrainer*innen in den Medien laut. Immer wieder finde man auch russische Propaganda, die auf Typisierungen des Zweiten Weltkriegs basieren: Ukrainer*innen werden in russischen Medien als Faschisten diffamiert. Yuliya Krylova-Grek findet dafür viele Beispiele in ihrer Forschung. Sie zeigt ein Bild russischer Propaganda vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, das ihn in SS-Uniform zeigt. Narrative, die zur Rechtfertigung des Angriffskrieges dienen, in denen das Massaker von Butscha als „gestellte Aufnahmen“ durch russische Medien läuft. Die Besetzung der Ukraine wird als Befreiung umgedeutet.

Seit mehr als zehn Jahren untersucht Yuliya Krylova-Grek russische Erzählungen über die Ukraine, wie verbale ideologische Strukturen von russischen Behörden und Medien zur Konstruktion anti-ukrainischer Mythen verwendet werden und wie sich sprachliche Motive veränderten. Die Zerstörung der ukrainischen Identität, ihre Souveränität zu delegitimieren, sei dabei zum zentralen Bestandteil geworden, so Krylova-Grek.

Die Propaganda wirke nicht nur innerhalb Russlands, sondern habe auch außerhalb Auswirkungen. Deutschland und andere europäische Länder seien vor 2014 schlicht nicht aufmerksam genug gewesen, als Russland begonnen hatte, aufzurüsten. Die Öffentlichkeit außerhalb Russlands sei nicht aufmerksam gewesen, was in den russischen Medien geschah. Dabei ging es nicht nur um aggressive Narrative, die sich gegen die Ukraine richteten, sondern auch Drohungen gegen andere europäische Länder. Medien haben großen Einfluss darauf, welchen Themen Aufmerksamkeit geschenkt werden, sagt Yuliya Krylova-Grek. „Seid aufmerksam!“, appelliert die Ukrainerin schließlich.

Lea Schüler

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