Geography is Destiny – Michael Minkenberg hält Abschiedsvorlesung
Wie die besondere Lage der Viadrina an der Schnittstelle zwischen Ost- und Westeuropa inspirieren und einen ganzen Forschungsbereich voranbringen kann, das verdeutlichte Politikwissenschaftler Prof. Dr. Michael Minkenberg eindrücklich in seiner Abschiedsvorlesung am 8. Juli 2025.
Es war eine persönliche Reise durch die international vergleichende Rechtsradikalismusforschung, mit der sich Prof. Dr. Michael Minkenberg nach 25 Jahren von der Viadrina verabschiedete. „Am Rande? Die radikale Rechte in liberalen Demokratien und die Rechtsradikalismusforschung an der Viadrina. Eine Vierteljahrhundertbilanz“ – so hatte der 1999 an die Viadrina berufene Politologe seinen Abschiedsvortrag überschrieben.

Heide Fest
Genau an demselben Ort wie heute, im Senatssaal der Viadrina, habe er 1998 in seinem Vorstellungsvortrag folgende Thesen vertreten: Der Rechtsradikalismus sei ein internationales Phänomen, das aus vergleichender Perspektive untersucht werden müsse; es sei ein modernes Phänomen, das als Reaktion auf Modernisierungsschübe entstehe, und es sei vielschichtig und damit interdisziplinär zu erforschen. „Mir wurde schnell klar, dass ich mit diesem Programm besonders gut aufgehoben war an einer Universität, in deren Denkschrift Internationalität und Interdisziplinarität als Grundpfeiler festgeschrieben sind“, so Minkenberg.
Und so sei es gar nicht ungewöhnlich, dass er Antritts- und die Abschiedsvorlesung nicht nur an derselben Universität, sondern auch im selben Saal halte. „Das unterstreicht vielmehr den Genius Loci dieser ungewöhnlichen Universität an der Oder, der Besonderes verbindet: Ortsansässigkeit und Wanderlust, Randlage und Metropole, Wohnen in Berlin und Arbeiten in Frankfurt (Oder) und Bahnhöfe und Flughäfen als Verbindungspunkte.“
Ende der 1990er-Jahre war der Rechtsradikalismus nicht nur mit dem Front National in Frankreich, der Lega Nord in Italien oder der FPÖ in Österreich international stark; auch in Deutschland waren Republikaner in westdeutschen Landtagen, DVU und NPD in ostdeutschen Landtagen vertreten. Die Forschung zu Rechtsradikalismus hingegen war randständig und auf Jugend- und Wahlforschung in Deutschland zentriert. „Mit meiner Forschung“, so Minkenberg, „insbesondere meiner Habilitation zur Radikalen Rechten in Deutschland, Frankreich und den USA, wollte ich den Blick weiten.“
Der Ruf an die Viadrina habe dann eine neue Perspektive hinzugefügt: „Der Standort Viadrina an der deutsch-polnischen Grenze hat entscheidenden Einfluss auf meine Forschung ausgeübt. Ich entdeckte den Osten, die in die EU strebenden postkommunistischen Länder, als Forschungsgebiet.“ Dort sei die Forschung zu Rechtsradikalismus kaum vorhanden gewesen, eine gezielte Suche nach Seminaren und Forschung zu Rechtsradikalismus an polnischen Universitäten habe damals ergeben, dass es schlicht keine gab; vielmehr noch, polnische Kolleg*innen hätten auf Konferenzen die Existenz des Antisemitismus in Polen negiert.
Minkenberg erinnert sich an intensive Projektseminare und Forschungsreisen mit Studierenden und Beschäftigten, aus denen Publikationen wie ein vielbesprochenes Sonderheft der Zeitschrift Osteuropa zu Rechtsradikalismus in Osteuropa oder der Sammelband zur radikalen Rechten in Osteuropa „Transforming the Transformation?“ (Routlegde) entstanden sind. Er bilanziert: „Für die Ostverschiebung meiner Forschung war die Viadrina eine conditio sine qua non: geography is destiny.“
Diese von der Viadrina ausgehende Forschungstätigkeit brachte die vergleichende Rechtsradikalismusforschung erheblich voran. Im European Consortium of Political Research (ECPR) wurde eine Standing Group zur vergleichenden Rechtsradikalismus- und Extremismusforschung gegründet, an der Minkenberg von Anfang an intensiv mitarbeitete; das Thema Rechtsradikalismus wurde zunehmend auf internationalen Konferenzen und in Publikationen präsent.
Seit den 2000er-Jahren vereint die radikale Rechte in vielen Ländern zweistellige Wahlergebnisse auf sich, auch in Ländern, die lange als immun galten, wie Großbritannien oder Deutschland. Dabei seien, so Minkenberg, deutliche Unterschiede zwischen West- und Osteuropa festzustellen: Im Osten gebe es mehr Regierungsbeteiligungen, die Lebensspannen der Parteien seien kürzer, die Ideologien radikaler. Zudem beobachte er einen gefährlichen Trend: Die Grenzen zwischen Parteien und Bewegungen seien zunehmend fluide, jüngst zu beobachten bei der AfD in Brandenburg, deren Fraktionsvorsitzender im Landtag Hans-Christoph Berndt gleichzeitig Vorsitzender der rechtsextremen Gruppe „Zukunft Heimat“ ist.
Angesichts dieser Entwicklung hat Minkenberg seine Forschung hin zu Folgen rechtsradikaler Parlaments- und Regierungsbeteiligungen verschoben. Seine Abschiedsvorlesung schloss er mit der Frage, welche praktisch-politischen Schlüsse gezogen werden müssen. „Es gibt kein Patentrezept“, so Minkenberg, „aber unterschiedliche Strategien, die je nach Kontext unterschiedliche Wirkung haben.“ Das Nach-rechts-rücken der etablierten Parteien, führe nur in wenigen Fällen zum Erfolg: „Man wählt dann doch lieber das Original als die Kopie.“ Vor einer „Zähmung durch Inklusion“ könne er nur warnen; das sei schon 1933 in Deutschland, aber auch vor wenigen Jahren in Österreich nicht gut gegangen. Ein Cordon Sanitaire, also der Ausschluss einer Zusammenarbeit mit der radikalen Rechten durch die etablierten Parteien, könne den Zulauf zwar nicht stoppen, aber die Parteien für Unentschlossene unattraktiv machen. Das Parteienverbot schließlich sei ein problematisches Mittel. „Man muss die Nebenwirkungen mitdenken, wenn man eine Partei verbietet“, so Minkenberg. Er warnt vor einem Verbot der AfD zum jetzigen Zeitpunkt: „Das kommt mindestens vier Jahre zu spät. Die AfD hat inzwischen über zwanzig Prozent, in manchen Gegenden vierzig Prozent Anhänger- und Wählerschaft.“ Mit einem Verbot würde man diese in ihren Anschauungen nur bestätigen und laufe Gefahr, einen – wenn auch nur kleinen – Teil zu radikalisieren. Und wenn ein Verbot scheitert, wie im Falle der NPD, stelle man der Partei einen Persilschein aus.
Michaela Grün
Zurück zum Newsportal
Beitrag teilen: