Diskussion mit Transformationsexperten Raj Kollmorgen

„Wenn alles Transformation ist, ist letztlich nichts Transformation“, bringt Prof. Dr. Raj Kollmorgen im Kulturwissenschaftlichen Kolloquium des Viadrina Instituts für Europa-Studien (IFES) am 12. Juli 2023 das Problem auf den Punkt – ein Problem, welches Konzepte und Begriffe haben, die im Trend liegen. Mit dem Wort „Transformation“ werde aktuell nahezu alles beschrieben, was sich im Umbruch befinde. Inwieweit das Konzept dennoch taugt, um gesellschaftliche Entwicklungen zu analysieren, war Gegenstand einer lebhaften Diskussion.

„Dieser Begriff hat immer wieder Konjunktur“, erklärt Viadrina-Kulturwissenschaftlerin Dr. Susann Worschech in ihrer Hinleitung zum Kolloquium-Thema. Prof. Dr. Raj Kollmorgen, Soziologieprofessor an der Hochschule Görlitz/Zittau und gern gesehener Diskutant an der Viadrina, habe sich jedoch konsequent und ausdauernd, nahezu „stur im besten wissenschaftlichen Sinne“, des Transformationsbegriffes angenommen und dazu geforscht. In seinem Impulsvortrag im IFES-Kolloquium versuchte er daher, der „Beliebigkeit“ der Begriffsverwendung etwas entgegenzusetzen.

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Im Gespräch (v.l.): Moderatorin Dr. Susann Worschech, Prof. Dr. Dagmara Jajeśniak-Quast (Leiterin des Zentrums für Interdisziplinäre Polenstudien), Prof. Dr. Raj Kollmorgen (Hochschule Görlitz/Zittau), Dr. Amelie Kutter und Prof. Dr. Timm Beichelt (beide Master of European Studies)


 

Transformation sei, so Kollmorgen, immer etwas „Radikales, etwas Ganzheitliches und Gerichtetes; entweder ,von oben´ verordnet oder ,von unten´ angeschoben“. Aktuell könne man angesichts der Klimakrise beobachten, wie eine Transformation im Gegensatz zu historischen Erfahrungen auch anders verstanden werde könne. „Früher konnte in Aussicht gestellt werden: Es wird euch besser gehen“, sagte Kollmorgen. Nun stünden dem Wirtschaftswachstum Aufrufe zum Verzicht entgegen, um eine Klima-Katastrophe zu verhindern.

Viadrina-Politikwissenschaftler Prof. Dr. Timm Beichelt argumentierte dagegen, dass er die Kategorie „Transformation“ für aktuelle Ereignisse lieber vermeide, und stellte in Frage, ob der Prozess tatsächlich als zielgerichtet gelten könne. „Gemeinhin wurde in der Vergangenheit postuliert, dass sich Autokratien zu Demokratien entwickeln. Verwirklicht hat sich diese These aber nicht: Demokratien sind anfällig und Wohlfahrtsstaaten erodieren, wie etwa das Beispiel Griechenland zeigt“, so Beichelt.

Auch im Publikum gab es zwei Stimmen, die in Transformationsprozessen keine Zielgerichtetheit erkennen. Der Beobachtung pflichtet Raj Kollmorgen auch bei, indem er sagt, dass das proklamierte Ziel, wie etwa das des Kommunismus, praktisch nicht erreicht werden könne. „Dennoch gibt es eine Handlungsorientierung von Individuen, etwa Machthabern, die gewaltige Ressourcen in ihr Ziel und ihre Programmatik stecken.“

Letztlich blieb offen, ob sich das Konzept der Transformation bereits auf die Gegenwart anwenden ließe oder erst rückblickend diagnostiziert werden kann – da waren sich die Diskutierenden nicht einig. Einig wurde man sich aber darin, dass trotz der derzeit häufigen, fast inflationären Verwendung des Begriffes in Medien, Politik und Wissenschaft dieses Instrument zur Analyse von Wandel weiterhin dienen kann.

Text: Heike Stralau
Foto: Estela Schindel

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