Hohe Hürden fürs Parteiverbot: Innenminister Wilke und Wissenschaftler plädieren für demokratische Klarheit

Frankfurt (Oder), 

„Wie umgehen mit Rechtsextremismus: verbieten oder politisch stellen?“ war die zentrale Frage des Podiumsgesprächs am 2. Dezember 2025 im Logensaal der Viadrina, zu dem die Kulturwissenschaftliche Fakultät gemeinsam mit dem Institut für Konfliktmanagement eingeladen hatte. Aus der Praxis berichtete René Wilke, Innenminister in Brandenburg; die rechtliche und politikwissenschaftliche Perspektive lieferten der Staatsrechtler Prof. Dr. Stefan Haack und der Politologe Prof. Dr. Michael Minkenberg. Moderiert wurde die Diskussion von der Jurastudentin Jovita Anhut.

„Die Möglichkeit eines Parteiverbots kann man mit dem Besitz einer Atombombe vergleichen – sie wirkt schon, bevor man sie einsetzt“, bringt es Prof. Dr. Michael Minkenberg zur Mitte der Diskussion zugespitzt auf den Punkt und erhält dafür aus der politischen wie aus der rechtswissenschaftlichen Ecke Zustimmung. Eben weil es die Gefahr eines Parteiverbotes gibt, könnte eine Mäßigung von Extremist*innen erreicht werden. Bei der AfD sehe man dieses Bemühen, jedenfalls in der Sprache. Zugleich warnte er davor, dieses Mittel, diese „undemokratischste aller Waffen in unserer wehrhaften Demokratie“, vorschnell oder unüberlegt einzusetzen.

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Die Podiumsgäste waren sich in der Bewertung der Fragestellung, wie man mit dem Rechtsextremismus umgehen soll, ob man beispielsweise die AfD als gesichert rechtsextremistische Partei verbieten oder ob man sie lieber in der politischen Auseinandersetzung stellen solle, recht einig. Alle drei Männer antworteten dennoch differenziert darauf.

Brandenburgs Innenminister Wilke sieht Zivilgesellschaft in der Pflicht

René Wilke, erst seit Mai diesen Jahres Brandenburgs Innenminister und zuvor langjähriger Oberbürgermeister von Frankfurt (Oder), gewährte einen Einblick in sein neues Arbeitsfeld. „Das ist die Auflistung extremistischer Bestrebungen mit Bezügen zu Brandenburg. Als ich ins Amt kam, hatte ich keine Ahnung, dass wir über so viele reden“, sagte er und hielt einen Stapel Papier hoch, eng bedruckt mit einer Tabelle. Er ordnete ein: „Wenn wir uns das Personenpotenzial angucken: das sind etwa 10.000 Personen von 2,5 Millionen Brandenburgern“, davon seien rund 5500 Personen als rechtsextrem eingestuft worden. Ein Parteiverbot sei folglich eine Diskussion, die man seiner Ansicht nach verstärkt in der Gesellschaft und weniger in den Parteien führen sollte, da sonst der Eindruck entstünde, man wolle sich unliebsamen politischen Gegner*innen entledigen. Man könne, das habe er in seiner politischen Karriere bereits als gelernt akzeptiert, die Menschen nicht in Watte packen. Negative Einflüsse, aktuell besonders Deepfakes und/oder unverblümte, versteckte Propaganda, prasseln auch bei bester Politik auf jeden und jede alltäglich ein.

Wir haben nur einen Versuch. Wenn wir es machen, dann muss der auch sitzen!

René Wilke

Sprächen jedoch alle Argumente für ein Parteiverbot, so sei es jedenfalls rechtlich geboten, das auch zu tun. Doch, so mahnte er später auch im Gespräch mit dem Publikum: „Wir haben nur einen Versuch. Wenn wir es machen, dann muss er auch sitzen!“, so Wilke.

Andere Länder zeigen: Durch ein Parteiverbot verschwindet der Extremismus nicht

Dem pflichtete Prof. Dr. Stefan Haack bei, der das NPD-Verbotsverfahren 2017 wissenschaftlich begleitet hatte. Es gebe zahlreiche Unwägbarkeiten auf dem Weg zum Parteiverbot und hohe Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichtes. Und selbst wenn dieses die Partei verbieten würde, die nächsthöhere Instanz, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, habe noch höhere Standards. Letztlich seien rechtsextreme Gedanken nicht verboten. Manchmal müsse man in einer Demokratie damit klarkommen, alle in der Wählerschaft einzubinden – und es „bis zur Schmerzgrenze“ auszuhalten. Denn was wäre die Alternative?

Darauf ging Prof. Dr. Michael Minkenberg näher ein. Der Politikwissenschaftler sah auch keine sinnvolle Möglichkeit, sich einfach von denjenigen abzuwenden, die rechtsextrem wählen. Aus seiner wissenschaftlichen Beobachtung heraus nannte er zahlreiche Beispiele anderer Staaten in Europa, die vor ähnlichen Herausforderungen standen und stehen. Ein Verbot führe eher dazu, dass sich die Menschen weiter radikalisierten. Doch auch die andere Variante, nämlich „umarmen, bis der andere keine Luft mehr bekommt“, sei ebenso wenig ratsam. „Das hat 1933 schon nicht funktioniert, als die Konservativen Adolf Hitler zum Reichskanzler gemacht und die NSDAP politisch eingebunden haben“, so der Politikwissenschaftler. Kooperation oder die Übergabe politischer Verantwortung an Extremist*innen, um diese vermeintlich zu „entzaubern“, funktioniere nicht. Man sehe das in Österreich an der FPÖ, dem Front National in Frankreich oder der Fidesz in Ungarn.

René Wilke unterstrich in diesem Kontext, dass eine Demaskierung durch Beteilung schon deshalb nicht gelingen werde, weil es einen Unterschied gebe zwischen Anhänger- und Wählerschaft. Die Anhänger*innen verzeihen ihren politischen Eliten Fehltritte und schlechte Politik, was man auch an Trumps Amerika sehen könne. Minkenberg empfahl daraufhin, dass sich die demokratischen Parteien eben genau aus diesem Grund den 70 Prozent der Wähler*innen zuwenden sollten, die eben nicht rechtsextrem wählen. Und zugleich immer wieder die von Stefan Haack herausgestellten drei Kernelemente der Bundesrepublik Deutschland medial und öffentlichkeitswirksam betonen sollten: Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland: Artikel 21 („Parteienprivileg“)

  1. Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.
  2. Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.
  3. Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen. Wird der Ausschluss festgestellt, so entfällt auch eine steuerliche Begünstigung dieser Parteien und von Zuwendungen an diese Parteien.
  4. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit nach Absatz 2 sowie über den Ausschluss von staatlicher Finanzierung nach Absatz 3 entscheidet das Bundesverfassungsgericht.
  5. Das Nähere regeln Bundesgesetze.

Heike Stralau

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