Maja Krüger erhält David-Rjazanov-Preis

Berlin / Frankfurt (Oder), 

Für ihren Aufsatz „Erkenntnisversprechen in beunruhigenden Zeiten. Karl August Wittfogel ediert Karl Marx, 1979 - 1981“ ist die Viadrina-Literaturwissenschaftlerin Dr. Maja Krüger am 3. Juni 2025 mit dem David-Rjazanov-Preis geehrt worden. Im Kurzinterview spricht sie darüber, was sie an der Forschung zu einem Marx-Text so interessiert.

Herzlichen Glückwunsch zu der Auszeichnung! Was hat Sie daran interessiert, sich mit dieser 1981 erschienenen Edition des Textes „Enthüllungen zur Geschichte der Diplomatie im 18. Jahrhundert“ von Karl Marx zu beschäftigen?

Mich interessierte zum einen, warum mehr als ein Jahrzehnt nach dem Erscheinen des (vorerst) letzten Bandes der deutschsprachigen Marx-Engels-Werke ein mehr als 120 Jahre alter Text von Marx in einer Reihe publiziert wurde, für die nur deutschsprachige und übersetzte Erstausgaben vorgesehen waren. Zum zweiten interessierte mich, warum der Suhrkamp Verlag für die Herausgabe dieses Textes ausgerechnet an Karl August Wittfogel dachte.

 Marx-Engels

Preisverleihung am Marx-Engels-Forum in Berlin: Vereinsvorsitzender Prof. Dr. Rolf Hecker und Preisträgerin Maja Krüger. Copyright: Verein zur Förderung der MEGA-Edition

Was ist das Besondere an Herausgeber Karl August Wittfogel?

Wittfogel galt als „Renegat“: Er war zwar 1918 Mitglied der USPD und zwei Jahre später dann der KPD geworden, hatte 1923 an der Ersten Marxistischen Arbeitswoche teilgenommen und bereits seit 1925 zu den Mitgliedern des Frankfurter Instituts für Sozialforschung gehört. Er war jedoch 1939 nicht nur aus der KPD ausgetreten, sondern hatte etwa auch 1951 in einer öffentlichen Sitzung des McCarran Committee ausgesagt und in Anwesenheit von Joseph McCarthy einige seiner ehemaligen Kollegen am Institute of Pacific Relations schwer belastet.

 

In der Begründung für den Preis heißt es, Sie arbeiten ein „bisher unbeachtetes Kapitel der editionsphilologischen Herausgeberschaft der Texte von Marx und Engels auf“. Was genau haben Sie entdeckt?

Ich konnte aufzeigen, dass es sich bei dem von Wittfogel herausgegebenen Text tatsächlich um eine übersetzte Erstausgabe handelt. Daran anschließend habe ich den Marx’schen Text und Wittfogels rund 70-seitige Einleitung mit Wittfogels Biografie verknüpft und herausgearbeitet, inwiefern sich Wittfogels Verhältnis zu Marx’ Werk aufgrund der Erfahrungen des 20. Jahrhunderts verändert hat: Während Wittfogel im Nachgang der beiden Revolutionen von 1917 aus der Lektüre von Marx noch einen „auf das Morgen gerichteten Zukunftsglauben“ hatte ziehen können, war es nach 1945 „ein auf das Hier und Jetzt gemünztes Erkenntnisversprechen“, das er mit den Schriften von Marx verband (beide Zitate Christina Morina).

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Was bedeutet der Preis für Sie?

David Rjazanovs Anliegen war es gewesen, „die gesamte geistige Hinterlassenschaft Marxens und Engels‘“ zu publizieren, wie er 1927 im Vorwort zum ersten Band der von ihm verantworteten ersten Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA) geschrieben hatte. Die Reihe sollte jedoch 1935 nach dem Erscheinen von elf der ursprünglich geplanten 40 Bände abgebrochen werden. Rjazanov selbst war zu diesem Zeitpunkt bereits in nach Saratow verbannt worden, 1938 sollte er in einem 15-minütigen Prozess des „Rechtstrotzkismus“ für schuldig befunden und zum Tode verurteilt werden. Dass mein Aufsatz über einen Marx’schen Text, der weder in der ersten Marx-Engels-Gesamtausgabe noch in den Marx-Engels-Werken erscheinen konnte, mit einem nach Rjazanov benannten Preis gewürdigt wird, freut mich sehr. Umso mehr, weil ich mit meinem Aufsatz der Geschichte der Kooperation, die das Frankfurter Institut für Sozialforschung mit dem von Rjazanov geleiteten Moskauer Marx-Engels-Institut zwischen 1924 und 1928 verbunden hatte, einen kleinen Epilog hinzufügen konnte.

 

Der Aufsatz ist erschienen in dem von Maja Krüger herausgegeben Sammelband „Karl Marx in der Geschichte. Entstehung und Rezeption der Marx'schen Kritik“. Der Band kann unter diesem Link bestellt oder kostenfrei als E-Book heruntergeladen werden.

 

Zur Person

Maja Krüger ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Axel Springer-Lehrstuhl für deutsch-jüdische Literatur- und Kulturgeschichte, Exil und Migration an der Europa-Universität Viadrina.

Von 2018 bis 2024 war sie wissenschaftliche Koordinatorin des an der Viadrina beheimateten DFG-Forschungsprojektes „Digitales Archiv jüdischer Autorinnen und Autoren in Berlin 1933-1945“ (DAjAB). Seit 2024 ist sie wissenschaftliche Koordinatorin des Graduiertenkollegs „Gebrochene Traditionen? Jüdische Literatur, Philosophie und Musik im NS-Deutschland“.

Zum Preis

Mit dem David-Rjazanov-Preis ehrt der Berliner Verein zur Förderung der MEGA-Edition alle zwei bis drei Jahre Nachwuchswissenschaftler*innen, die sich durch ein innovatives Herangehen an Marx’ und Engels’ Schriften sowie eine kritische Auseinandersetzung mit deren theoretischen Auffassungen auszeichnen und so einen Beitrag zur Herausgabe der zweiten Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA²) leisten.

Der Preis ist nach David Borisovič Rjazanov (1870–1938), dem Herausgeber der ersten Marx-Engels-Gesamtausgabe und ersten Direktor des Moskauer Marx-Engels-Instituts (1922–1931), benannt und ist mit 500 Euro dotiert.

 

Michaela Grün

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