Berlins Weg in die Moderne

Frankfurt (Oder), 

Der Tagungsband „Berlins Weg in die Moderne. Koloniale Warenströme und Sehnsüchte 1713-1918“ untersucht Berlins koloniale Verflechtungen aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive. Am 22. April 2025 haben Lilja Ruben-Vowe, Prof. Dr. Klaus Weber und Felix Töppel den Tagungsband, den sie gemeinsam mit Samuel Eleazar Wendt herausgegeben haben, im Senatssaal vorgestellt.

Für deutsche Hafenstädte wie Hamburg, Bremen oder auch Flensburg gibt es bereits Forschungsprojekte, die die kolonialen Verflechtungen dort ausführlich beleuchten, erklärt Klaus Weber zu Beginn der Buchvorstellung. Für Binnenstädte wie Berlin, zumindest in so umfangreicher Weise, wie es jetzt der Band „Berlins Weg in die Moderne. Koloniale Warenströme und Sehnsüchte 1713-1918“ unternimmt, war das bisher kaum der Fall. Das Buch, das Klaus Weber an diesem Abend gemeinsam mit Lilja Ruben-Vowe und Felix Töppel vorstellt, ist das Ergebnis der elften wissenschaftlichen Jahrestagung des Netzwerkes HiKo_21 der Historischen Kommission zu Berlin, die Ende September 2024 in Berlin stattfand. Darin werden die kolonialen Verflechtungen Berlins vor allem aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive untersucht.

Buchvorstellung "Berlins Weg in die Moderne"

Nach einleitenden Worten des Dekans der Kulturwissenschaftlichen Fakultät Prof. Dr. Timm Beichelt und der Literaturwissenschaftlerin PD Dr. Andrea Gremels, geben die Herausgeber*innen an diesem Abend einen Einblick in ihre kollektive und individuelle Arbeit. Lilja Ruben-Vowe spricht über ihren Beitrag „Koloniale Echokammern – die Bildgeschichte der ‚Anderen‘“. Seit der Frühen Neuzeit entstanden koloniale Bildwelten, zu denen Menschen, Pflanzen und Projektionen gehörten, die den Bildwissenschaften bis heute noch viel Reibungsfläche bieten, erklärt Ruben-Vowe. „Diese Bilder sind auch Ausdruck eines eurozentrischen Machtanspruchs, der sich weit vor der Schaffung formeller Kolonien manifestierte.“ In diesen Bildwelten sehe man die Konstruktion eines kolonial geprägten „Anderen“. Um aus diesem vordefinierten Bildervorrat, wie Ruben-Vowe es nennt, auszubrechen, plädiert sie dafür, postkoloniale, interdisziplinäre und bildkritische Ansätze stärker zu betonen. Eine entscheidende Rolle dafür würde auch die Öffnung von Archiven sowie die Kontextualisierung kolonialer Bildquellen spielen, da viele visuelle Zeugnisse noch gar nicht erschlossen sind.

In einem Vortrag stellt Felix Töppel seine gemeinsame Arbeit mit Dr. Markus Nesselrodt zum Thema „Die Preußische Seehandlung und die Rzeczpospolita“ vor, worin sie unter anderem die Seehandlung Preußens als koloniales Instrument untersuchen. „Ein Blick auf die vergangenen Jahre zeigt ein akutes Problem im Umgang mit unserer Vergangenheit. In Zeiten, in denen Symbole des preußisch-deutschen Nationalismus wiedererrichtet werden, braucht es offensichtlich wieder eine stärkere und ehrlichere Auseinandersetzung mit der preußischen Geschichte,“ beginnt Töppel. In seinen einleitenden Worten verdeutlicht er, wie drängend eine kritische Auseinandersetzung mit kolonialer Praxis ist, wie sehr sie auch in die Gegenwart noch hineinwirkt. Töppel spricht über die Preußische Herrschaftspraxis in Polen, die Merkantilpolitik Friedrich II., über Binnen- und partizipativen Kolonialismus und wie eng diese im Westen miteinander verbunden gewesen seien.

In Töppels Thema verdichtet sich auch ein weiteres Anliegen des Buches, nämlich nicht nur zeitlich weiter auszugreifen, sondern auch räumlich. Anliegen der Herausgeber*innen war es, mit dem Buch nicht nur die maritimen Räume im Westen und Süden, sondern auch die Binnenräume im Osten in den Blick zu nehmen. Bei der Buchvorstellung wird außerdem immer wieder deutlich, dass Kolonialgeschichte immer auch eine Ausbeutungs- und Gewaltgeschichte ist. Beispielsweise wenn Felix Töppel vom Salzhandel spricht: „Salzhandel klingt erst einmal nicht so spektakulär, tatsächlich aber steckt dahinter eine wahnsinnige Gewaltgeschichte.“ Und auch Lilja Ruben-Vowe macht klar: „Es gehört eben zusammen: Die Idee des Fortschritts lässt sich nicht erzählen ohne Ausbeutungsverhältnisse“

Als Kolonialzeit wird in Deutschland häufig die wilhelminische Kolonialzeit von 1884 bis 1918 betrachtet. Dieses Verständnis dominiert bislang auch die öffentliche Wahrnehmung und mediale Repräsentation. Klaus Weber gibt zu bedenken, dass das öffentliche Verständnis der wilhelminischen Kolonien, der mediale Fokus darauf sowie Studien dazu, teilweise den Blick verstellen, auf koloniale Kontinuitäten, die viel weiter zurückreichen. Den Herausgeber*innen war es deshalb auch wichtig mit diesem Band einen Blick auf den langen Zeitraum vor der Schaffung formaler Kolonien zu werfen und die kolonialen Verflechtungen offenzulegen: „Es gab einen Kolonialismus schon vor dem Kolonialismus, auch in Berlin.“ Klaus Weber unterstreicht, dass der Band damit auch ein Ausgangspunkt für weitere Forschungen und Diskussionen bietet und sich weniger als abschließende und vollumfängliche Abhandlung über das Thema verstehe. Das sei auch gar nicht möglich. Der Band „ist viel mehr der erste Stein, den wir in den Teich werfen“, so Klaus Weber.

Lea Schüler

"Berlins Weg in die Moderne. Koloniale Warenströme und Sehnsüchte, 1713-1918"

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