„Unser Kulturerbe lebt auch in unserem Herzen, deshalb ist es nicht so leicht, uns zu zerstören.“ - Kulturgutschutz in bewaffneten Konflikten

Der Lehrstuhl für Denkmalkunde der Viadrina lud am 6. April 2022 zum Online-Seminar „Kulturgutschutz in bewaffneten Konflikten“ ein. Alumni des Viadrina-Masterstudienganges „Schutz Europäischer Kulturgüter“ beleuchteten dieses Thema aus historischen, rechtlichen und dokumentarischen Perspektiven. Im Zentrum der Veranstaltung stand die aktuelle Lage in der Ukraine am Beispiel der Altstadt von Lwiw, die seit 1998 UNESCO-Weltkulturerbe ist.

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Dr. Tanja Bernsau, Prof. Dr. Paul Zalewski, Inhaber der Professur für Denkmalkunde, Dr. Stefan Mieth, Oleksandra Provozin (im Uhrzeigersinn). - Fotos: Yvonne Martin


Wie Kriege die Institutionalisierung des Kulturgüterschutz vorantreiben können, darüber referierte die Kunsthistorikerin Dr. Tanja Bernsau zu Beginn der Veranstaltung am Beispiel der US-amerikanischen „Monuments Men“. Diese militärische Abteilung zum Schutz von Kunstgut war im Zweiten Weltkrieg ins Leben gerufen worden. Aus Sorge um das Europäische Kulturgut wurden speziell ausgebildete Kunstschutzoffiziere abgestellt, die Plünderung und Raub verhindern, aber auch schützenswerte Gebäude vor der Zerstörung durch die eigenen Truppen bewahren sollten. Dafür wurden beispielsweise Warnsignale für die Luftwaffe an den Baudenkmälern angebracht. Bereits damals zeigte sich allerdings die beschränkte Wirkung eines derartigen Schutzes – alle Maßnahmen standen stets unter dem Vorbehalt „sofern es möglich ist“, militärische Operationen hatten stets Vorrang.

Auf diesen Aspekt ging der Jurist und Historiker Dr. Stefan Mieth in seinem Vortrag über juristische Möglichkeiten des Kulturgutschutzes ausführlicher ein. Das Konzept eines Kennzeichens für geschütztes Kulturgut, erstmals 1935 durch den russischen Juristen Nicholas Roerich im sogenannte Roerich-Pakt etabliert, wurde in die Haager Konvention von 1954 übernommen. Seither kennzeichnet ein blau-weißer Schild schützenswerte Kulturgüter. Sowohl Ukraine wie auch Russland unterzeichneten die Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten. Nach diesem, völkerrechtlich bindenden Vertrag, ist der Angriff gegen historische Denkmäler, künstlerische und religiöse Einrichtungen verboten. Wird dagegen verstoßen, kann dies als Bruch des Völkerrechts geahndet werden. Allerdings, so Mieth, hat sich sowohl das durch die Haager wie auch die Genfer Konvention geschützte Recht als nur schwer durchsetzbar erwiesen. Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs sammele derzeit zwar „Beweise um Kriegsverbrechen in der Ukraine ahnden zu können“, aber ob es tatsächlich zu einer Anklage komme, sei ungewiss.

Oleksandra Provozin kämpfte mit den Tränen, als sie den Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Podiumsdiskussion vor Augen führte, was Aggression der russischen Truppen für das kulturelle Erbe der Ukraine bedeute: „Sie wollen uns, die Ukraine, als Nation und unsere Kultur zerstören!“ Oleksandra Provozin hat ihr Studium an der Viadrina 2016 abgeschlossen und arbeitet seit 2017 am Stadtmuseum in Lwiw, eine Stadt, deren Baudenkmäler beide Weltkriege unzerstört überlebt haben. Doch seit dem 24. Februar ist das Stadtzentrum von Lwiw, seit 1998 UNESCO-Weltkulturerbe, bedroht: Mit seinen unterschiedlichen Stilepochen auf engstem Raum sei Lwiw eine „Enzyklopädie der Architektur“. Das ganze Ausmaß der Zerstörung in der Ukraine könne niemand abschätzen, betonte Provozin, doch sie wisse von 135 Kulturdenkmälern, vor allem Sakralbauten, die in den sechs Wochen des Krieges bereits vernichtet worden seien. Zwar versuche man zumindest das bewegliche Kulturgut zu sichern, indem man es in Depots, in andere Städte oder ins Ausland verbringe, doch jede Bewegung dieser Gegenstände berge das Risiko der Beschädigung, und auch Plünderungen seien nicht auszuschließen.

Mit Hilfe von Freiwilligen werde versucht, die baulichen Kulturgüter und Denkmäler zu schützen, erläuterte Provozin: Buntglasfenster würden abgenommen, Skulpturen mit Sandsäcken geschützt oder mit feuerhemmenden Stoffen verkleidet, Feuerlöscher verteilt. Aber die Mittel seien oft knapp, vielfach sei man auf Spenden aus dem Ausland angewiesen. Um das Kulturgut im Falle einer Zerstörung restaurieren zu können, würde man außerdem 3D-Scanning anwenden. Die geschützten Bauten mit dem Schutzzeichen der Haager Konvention zu versehen, hält Provozin indessen nicht für sinnvoll: Es zeige, welche Gebäude den Menschen in der Ukraine wichtig seien, weshalb diese erst recht gefährdet seien. „Doch unser Kulturerbe lebt auch in unserem Herzen, deshalb ist es nicht so leicht, uns zu zerstören“, zeigte sie sich zum Abschluss ihres Vortrags kämpferisch.

(YM)

Abteilung für Hochschul­kommunikation