Prof. Dr. Alla Kozhyna erforscht als Fellow an der European New School die digitale Inklusion in Europa – auch für ihre Heimat in der Ukraine

Noch bis Ende Juni 2023 ist Prof. Dr. Alla Kozhyna Fellow der European New School of Digital Studies (ENS) im Programm „Datafication in European Societies“. Die Verwaltungsprofessorin aus Kyjiw arbeitet an einer vergleichenden Studie über die Digitalisierung in verschiedenen europäischen Ländern. Sie geht dabei auch der Frage nach, wie digitale Inklusion der durch den aktuellen Krieg stark beeinträchtigten ukrainischen Gesellschaft helfen kann und entwickelt Weiterbildungen für ukrainische Staatsbedienstete. 

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Frau Kozhyna, wie sind Sie dazu gekommen, sich als Professorin aus Kyjiw auf das Fellowship-Programm der ENS zu bewerben?
Die groß angelegte Aggression Russlands gegen die Ukraine hatte Auswirkungen auf meine Arbeit, meinen Arbeitsplatz, meine Familie und meinen Wohnort. Mit der Ausweitung des Krieges im Februar 2022 war meine Familie gezwungen, die Ukraine zu verlassen und zu unseren Verwandten nach Berlin zu kommen. Ich habe nach Möglichkeiten gesucht, meine wissenschaftliche Tätigkeit fortzusetzen. In erster Linie habe ich mich für Stipendienprogramme für den Bereich der Digitalisierung im öffentlichen Raum interessiert. Ich war sehr froh, als ich über eine Google-Suche ein solches Programm an der ENS fand. Und ich war noch begeisterter, als ich dieses Stipendium erhielt. Denn die Themen, mit denen sich die ENS beschäftigt, sind meinen Forschungsinteressen sehr nahe. Außerdem gibt es viele neue, moderne Ansätze, um wichtige Probleme mit Hilfe digitaler Technologien zu lösen. Sehr wichtig ist die Frage der Ethik in der digitalen Sphäre, die in der ENS aktiv diskutiert wird.

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Wo ist Ihr eigentliches wissenschaftliches Zuhause?
Ich lebe und arbeite eigentlich in Kyjiw. Ich habe in Wissenschaften für die öffentliche Verwaltung promoviert und bin Professorin für öffentliches Management und Verwaltung an der Nationalen Luftfahrtuniversität. Außerdem bin ich Vorstandsvorsitzende der Nichtregierungsorganisation Institute of Public Strategies. In Workshops bilde ich zudem öffentliche Bedienstete in digitalen Fragen weiter, zum Beispiel, wenn es um Cybersicherheit geht. Bevor ich an die ENS kam, war ich Junior Fellow am Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald.

Was bedeutet Ihnen das Stipendium an der ENS?
Es ist für mich eine Möglichkeit, trotz des Krieges Teil der scientific community zu sein. Ich kann Neues lernen und meine Forschung vorantreiben, mit dem Ziel, meinem Land während des Krieges zu helfen – und nach dem Krieg den Wiederaufbau zu unterstützen.
An der ENS lerne ich die Forschung, die Themen, die Methoden und Veröffentlichungen der besten Forschenden im Bereich der Digitalisierung und der digitalen Transformation kennen – das ist äußerst nützlich für mich. Der Zugang zu innovativen und interdisziplinären Forschungsansätzen und zu Werkzeugen der künstlichen Intelligenz ist sehr hilfreich.

Was genau ist Ihr Vorhaben an der ENS?
Mein Projekt beschäftigt sich damit, wie Technologien die digitale Inklusion in Europa ermöglichen können. Dafür klassifiziere ich Technologien, Innovationen und Ansätzen, die zur Verbesserung der Lebensqualität aller Bürger, einschließlich gefährdeter und marginalisierter Gruppen, beitragen. In einem zweiten Schritt schaue ich auf Hindernisse für den digitalen Zugang und wie sie überwunden werden können. Schließlich ermittle ich Bereiche, in denen die digitale Kompetenz verschiedener Bevölkerungsgruppen, insbesondere von Angestellten im öffentlichen Dienst und ausgegrenzten Gruppen, verbessert werden kann.

Welche praktische Anwendung findet dieses Wissen vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine?
Ich bereite Empfehlungen für die ukrainischen Behörden darüber vor, wie digitale Technologien die Lebensqualität verschiedener Bevölkerungsgruppen verbessern können. Dabei berücksichtige ich auch die Folgen der russischen Aggression, die den Lebensstandard der Menschen erheblich beeinträchtigt hat. Um nur ein Beispiel zu nennen: Es wird nach dem Krieg viele Menschen mit kriegsbedingten Behinderungen oder Traumata geben, denen die Digitalisierung in der Arbeitswelt helfen kann. Darüber hinaus ist es für den Wunsch der Ukraine, Teil der EU zu werden, sehr wichtig, die EU-Standards zu erfüllen, insbesondere im Bereich der Digitalisierung und des Datenschutzes. Der Krieg hat den digitalen Sektor stark beeinträchtigt, aber er ist nach wie vor einer der widerstandsfähigsten in der Ukraine und hat ein erhebliches Erholungspotenzial.

Interview: Frauke Adesiyan
Foto: Heide Fest

Abteilung für Hochschul­kommunikation