Voices from Ukraine – Wirtschaftswissenschaftler Oleg Novievskyi über die Versorgungslage und Ernährungssituation in der Ukraine

Welche Folgen trägt der Angriffskrieg der Russischen Föderation für die Versorgung in der Ukraine und auf globaler Ebene? Für die Veranstaltungsreihe „Voices from Ukraine“ hat Prof. Dr. Oleg Novievskyi, Wirtschaftswissenschaftler an der Kyiv School of Economics, am 17. März 2022 die Lage in seinem Heimatland beschrieben und eingeschätzt. Besonders bedroht sieht er die Landwirtschaft und den Arbeitsmarkt.

Nicht nur menschlich ist der russische Krieg in der Ukraine eine Katastrophe. Auch auf wirtschaftlicher Ebene sehen die Folgen düster aus. „Im Jahr 2011 exportierte die Ukraine 40 Millionen Tonnen Getreide. Im vergangenen Jahr waren es zehn Mal so viel“, erklärte Oleg Novievskyi während der Online-Diskussion zu „International and domestic consequences of war: Sanctions and food security“. „Wir haben auf dem Gebiet weltweit vorn mitgespielt.“ Bereits jetzt sei allerdings absehbar, dass die Exportzahlen sinken werden. „Die Anbauphase für viele Landwirte beginnt im März“, so Oleg Novievskyi. Dem jetzt nachzugehen, sei riskant und für viele lebensbedrohlich. Ein Mangel an Ernährungsgütern zeige sich bereits in besonders umkämpften Gebieten.

Voices from Ukraine ©Screenshot

Voices from Ukraine III: Prof. Oleg Novievskyi (l.o.), Prof. Dr. Reimund Schwarze (r.o.), Prof. Dr. Timm Beichelt (l.u.) und Dr. Susann Worschech diskutierten über die Versorgungslage in der Ukraine. © Viadrina


Gemeinsam mit Russland (18 Prozent) decke die Ukraine (zwölf Prozent) 30 Prozent des Weltmarktes für Weizen ab. Exportiert werde vor allem in den Mittleren Osten und den Norden Afrikas. Dieser Handel sei nun vorerst minimiert bzw. gestoppt, so der ukrainische Wirtschaftswissenschaftler. „Dieser Stopp wird einen doppelten Schock zur Folge haben: einerseits einen Mangel an Getreide und andererseits einen Preisanstieg.“ Dies gelte für die Ukraine sowie für Länder, die ihre Güter nicht woanders her beziehen können. „Aus diesem Grund werden wir in den kommenden Jahren mehr Migration aus diesen Ländern beobachten können“, erklärte der Junior-Professor, der unter anderem mit dem Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO) das Forschungsprojekt UaFoodTrade koordiniert. Weiterhin werde sich die Flucht zahlreicher Menschen aus der Ukraine auf das Humankapital auswirken. „Es ist unklar, wie viele der Menschen nach dem Krieg überhaupt zurückkehren können und für wen es Arbeit geben wird“, fügte er hinzu. 30 Prozent der Unternehmen in der Ukraine seien bislang Bankrott gegangen.

Betroffen reagierte Umweltökonom Prof. Dr. Reimund Schwarze auf diese Einschätzungen. Am gleichen Morgen hatte er eine Konferenz des United Nations Office for Disaster Risk Reduction (UNDRR) verfolgt: „Die Auseinandersetzung mit dem russischen Krieg in der UN hat mir gezeigt, dass wir erst am Anfang stehen, wenn es darum geht, solche Krisen zu handhaben.“ Die Rolle der Europäischen Union sei in diesem Prozess elementar. „Wir müssen unter anderem die europäische Agrar- und Energiepolitik neu denken“, so Schwarze.

Hoffnung zog Oleg Novievskyi aus seinen Beobachtungen des ukrainischen Militärs. Während die russische Armee über Hierarchien und Anweisungen funktioniere und sich bereits Probleme in den Durchführungen und der Logistik gezeigt hätten, sei die ukrainische Armee dezentraler organisiert: „Viele Soldatinnen und Soldaten zeigen Initiative und Mut. Ich hoffe dieses Temperament wird auch nach dem Krieg bestehen bleiben.“ So könne die ukrainische Wirtschaft resilient, nachhaltig und schnell wiederaufgebaut werden.


Der Livestream der dritten Ausgabe von „Voices from Ukraine” ist weiterhin abrufbar. Am Donnerstag, dem 31. März, wird die Reihe um 13.30 Uhr mit dem Thema „Social unrest und migration“ fortgesetzt. 

(KH)

Abteilung für Hochschul­kommunikation