Marginalisiertes Kulturerbe im deutsch-polnischen Grenzland – ein Konferenzbericht

Am 7. und 8. Juli 2022 fand am Collegium Polonicum die internationale Konferenz „Marginalisiertes Kulturerbe und Perspektiven für regionale Kulturentwicklung: Schlösser, Gutshäuser und jüdische Friedhöfe im deutsch-polnischen Grenzland“ statt. Die Veranstaltung wurde organisiert vom Lehrstuhl für Denkmalkunde der Europa-Universität und mit EU-Mitteln aus dem Interreg-Projekt gefördert.

Im Collegium Polonicum und per Live-Stream versammelten sich deutsche und polnische Forschende und Interessierte, um Vorträgen zu Denkmalpflege und Kulturgütern im deutsch-polnischen Grenzraum anzuhören und an Diskussionen teilzunehmen. Nach einer Begrüßung durch die Vertreterinnen und Vertreter des Lehrstuhls für Denkmalkunde sowie durch die Viadrina-Präsidentin Prof. Dr. Julia von Blumenthal begann die Konferenz mit einem Vortrag von Prof. Dr. (em.) Gangolf Hübinger zu „Grenzregion als Geschichtslandschaft“. Am Beispiel der Oder als Grenzfluss gab Hübinger, Senior Fellow am Viadrina Center B/ORDERS IN MOTION, einen kritischen Einblick in die Wahrnehmung und Erforschung von Grenzräumen und dem bis heute genutzten Narrativ der an Polen „verlorenen Gebiete“. Laut Hübinger führt das Narrativ nicht zur Förderung des regionalen Kulturerbes, sondern bewirkt das Gegenteil – eine Marginalisierung.

Dr. (hab.) Marceli Tureczek von der polnischen Universität Zielona Góra sprach über verlorenes und gerettetes Erbe und wie sich die Einstellung zum „fremden Raum“ im heutigen Westpolen nach 1945 entwickelte. Anschließend hielten Prof. Dr. Gabi Dolff-Bonekämper und Prof. Natalia Aleksiun Vorträge über jüdisches Kulturerbe in der Region. Dolff-Bonekämper, emeritierte Professorin für Denkmalpflege und urbanes Kulturerbe an der TU Berlin, berichtete über „Das verwaiste jüdische Erbe von Konin. Grenzgänge in anderer Leute Vergangenheitsraum“. Auch Aleksiuns Beitrag thematisierte die Marginalisierung von jüdischem Kulturerbe, jedoch in einer größeren Region: Die Professorin für moderne jüdische Geschichte am Touro College in New York befasste sich mit den Gebieten an den polnischen Grenzen.  

Nach einer Panel-Diskussion über Vergangenheit und Gegenwart von marginalisiertem Kulturerbe endete der Tag mit zwei Spaziergängen – die Teilnehmenden konnten entweder eine Stadtführung mit Prof. Dr. Paul Zalewski wahrnehmen oder vom Collegium Polonicum aus mit dem Regionalhistoriker Roland Semik zum jüdischen Friedhof in Słubice spazieren.

„Entschuldigung, wo ist der jüdische Friedhof?“

Zum Thema „Schlösser und Gutshäuser – Transformation und Denkmalpflege“ referierte am Freitag die Architekturhistorikerin Maren Weissig. Ihr Vortrag befasste sich mit dem architektonischen Strukturwandel in der Sowjetischen Besatzungszone bzw. der DDR und dessen Bedeutung für die verbliebenen Schlösser und Gutshäuser. Arne Franke stellte Konzepte für praktische denkmalpflegerische Ansätze vor. Sein Fokus auf marginalisierte Schlösser und Gutshäuser in Schlesien, heute häufig nur noch Ruinen und Baudenkmäler, erlaubte ihm, mehrere Beispiele zu zeigen – unter anderem die Nutzung eines ehemaligen Schlosses als Kletterpark.

Nach einer kurzen Kaffeepause eröffnete Prof. Dr. Magdalena Abraham-Diefenbach eine Reihe an Vorträgen mit einer Anekdote eines Historikers, der sich in Polen auf die Suche nach jüdischen Friedhöfen machte, ohne ein Wort Polnisch zu sprechen. Den auf Polnisch übersetzten Satz „Entschuldigung, wo ist der jüdische Friedhof?“ trug er auf einem Blatt Papier durch die Orte in der Hoffnung, so in die richtige Richtung gewiesen zu werden. Dieser Satz fasse, so Magdalena Abraham-Diefenbach, den Umgang mit jüdischem Kulturerbe in der deutsch-polnischen Grenzregion gut zusammen, indem er die Marginalisierung dieses Erbes aufzeige. Diesen Eindruck verstärkte der anschließende Vortrag von Dr. Anke Geißler-Grünberg, der einen Überblick über die Zustände jüdischer Friedhöfe im Oderland vermittelte. Von dem jüdischen Friedhof in Szczecin (Stettin), der zwischenzeitlich neu bebaut worden war und dessen Grabsteine daher lange Zeit nicht geborgen werden konnten, berichtete Tomasz Wolender von der zuständigen Woiwodschaftsbehörde.

Friedhöfe als Heiligtümer der Wildnis

Mit ihrem Vortrag über die Flora ehemaliger deutscher Friedhöfe im heutigen Polen eröffnete Anna Socha einen neuen, interessanten Blickwinkel auf diese „Heiligtümer der Wildnis“. Dass so wenig Interesse an einer Instandhaltung der Friedhöfe bestand, sorgte dafür, dass sich hier Refugien für bestimmte Pflanzenarten entwickelten, die häufig zur Grabverschönerung verwendet werden. Dies erzeuge einen gewissen Spannungsraum in der Denkmalpflege, so Socha, denn für die Erhaltung des Kulturerbes, der Grabsteine und anderer Strukturelemente, müssten solche Naturdenkmäler oftmals zerstört werden.

In den abschließenden Vorträgen beleuchtete PD Dr. Anna-Dorothea Ludewig am Beispiel des Seelower Schweizerhauses und der Simon‘schen Anlagen die heutige Verwendung von Kulturerbe für Kulturveranstaltungen und Erinnerung, bevor Dr. Falko Neininger vom Brandenburgischen Landeshauptarchiv einen Einblick in die Bestände des Archivs gab.

(Katharina Thoma)

 

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