Regieren in Kriegszeiten – Gastvortrag über die ersten sechs Monate der Ampelkoalition

Auf den Tag genau sechs Monate nachdem sich SPD, Grüne und FDP auf den Koalitionsvertrag geeinigt haben, zog Prof. Dr. Andrea Römmele am 24. Mai 2022 an der Viadrina eine Zwischenbilanz. Die Professorin für politische Kommunikation von der Hertie School hielt auf Einladung von Prof. Dr. Michael Minkenberg den Vortrag „Zur Akzeptanz der Transformation – sechs Monate Ampelregierung im Bund“.

Genau sechs Monate hat die Große Koalition ihr politisches Programm, seit drei Monaten regiert sie angesichts eines offenen Krieges in Europa. „Zeitenwende“ ist das Wort, das Bundeskanzler Olaf Scholz wenige Tage nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine verwendet hat. „Das hat die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik in ein anderes Zeitalter katapultiert“, sagte Andrea Römmele. Die junge Regierung sei „von null auf hundert auf die internationale Bühne katapultiert“ worden. Ursprünglich hatte sich die Koalition auf eine gemeinsame Zukunftsvision geeinigt, wollte ein Fortschrittsversprechen einlösen, ein „Transformationsjahrzehnt“ einläuten. Doch was macht der Krieg in der Ukraine mit diesen Vorhaben?

Er kann als Katalysator für Teile des Transformationsprojektes wirken, so Römmeles These. Beispielsweise sei die Energiepolitik unter den neuen Vorzeichen in der Agenda ganz weit nach oben gerückt. Andere drängende Themen wie Agrarreform, Wohnungsbau und Mobilität geraten hingegen aus dem Blickfeld.

Design ohne Titel (1) ©Collage: Frauke Adesiyan

Was der Krieg in der Ukraine schnell sichtbar gemacht habe, so ein weiterer Punkt in Römmeles Vortrag, sei ein gewandelter Regierungsstil. Olaf Scholz habe sich als Minister unter Angela Merkel nie Gedanken um Vermittlung machen müssen. „Sie hat nichts gesagt, also musste er auch nichts erklären“, so die zurückblickende Beobachtung der Politikwissenschaftlerin. Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck hingegen erläutern ihre Politik. „Man kann ihnen beim Entscheiden quasi zugucken. Diese Ehrlichkeit, Offenheit und Fehlerkultur ist komplett neu“, so Römmele. Statt der „überprofessionalisierten Statements“ der Merkel-Zeit, lieferten sie umfassende Erklärungen, die sie in ihren Social-Media-Kanälen noch unterfüttern werden. „Ich weiß nicht, ob Olaf Scholz etwas aus der Ruhe bringen kann, aber mich würde das unter Druck setzen“, sagte sie über eine mögliche Vorbildwirkung der Ministerin und des Ministers von den Grünen.

Eine Diskussion entzündete sich nach dem Vortrag an dem Begriff der Zeitenwende. Sei der tatsächlich angemessen für die jetzige Situation, in der sich doch für viele noch gar nicht so viel ändere, fragte Prof. Dr. Matthias Schloßberger aus dem Publikum. „Ich finde der Begriff kann gar nicht groß genug sein; ich finde ihn fast noch zu unemotional“, entgegnete Andrea Römmele und verwies auf die komplett veränderte Rolle Deutschlands in der Welt. Der Kritik, dass das Wort „Zeitenwende“ als etwas verwendet werde, das beinahe schicksalhaft über uns komme, ohne dass wir etwas damit zu tun hätten, stimmt sie hingegen zu. Der „kommunikativ nicht gefüllte“ Begriff Zeitenwende führe auch zur ungenügenden Aufarbeitung des Umgangs mit Russland, argumentierte Dr. Anja Hennig. Andrea Römmele stimmte zu: „Mich wundert es auch, dass die Öffentlichkeit nicht stärker von Angela Merkel fordert: Erklären Sie uns den Zusammenbruch dieses Kartenhauses!“

(FA)

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