Die Prüfungen der Möglichmacherinnen – Lounge-Lesung aus „Eine unmögliche Universität“

Zum Abschluss der Vorlesungszeit im Wintersemester 2022/23 fand am 7. Februar 2023 erstmals eine Lounge-Lesung an der Viadrina statt. Vorgestellt wurde das Buch „Eine unmögliche Universität“, in dem 30 Wegbereiterinnen und Wegbereiter der Viadrina zu Wort kommen. Vorgelesene Passagen und ein Gespräch mit drei Zeitzeuginnen verdeutlichten die Besonderheiten der Gründungsphase der Europa-Universität. Der Empfang im Anschluss wurde zu einem geselligen Treffen vieler Viadrina-Gesichter verschiedener Generationen.

Das Buch, das die Viadrina-Absolventen Tim Köhler und Stephan Felsberg anlässlich des 30-jährigen Bestehens der Viadrina herausgegeben haben, beschreibt laut Untertitel „30 Prüfungen, die die Europa-Universität bestehen musste“. Eine dieser Prüfungen war offensichtlich der Schrecken der ersten Nacht. Zumindest beschreibt Prof. Dr. Dagmara Jajeśniak-Quast ihre Ankunft im Oktober 1992 als tränenreich. „Wir haben die ganze Nacht nur geheult. Wir haben gedacht, was machen wir hier?“, las Viadrina-Studentin Maria Ullrich aus den Erinnerungen der heutigen Professorin an ihre Ankunft im Słubicer Wohnheim. Und auch im Frankfurter Wohnheim erging es einigen nicht besser. „Mir hat Jahre später mal ein Student erzählt, wie er abends im Dunkeln im Mühlenweg angekommen ist und erstmal einfach nur geweint hat“, erinnert sich Dr. Ulrike Hartmann, die ab Mai 1992 das Studentenwerk aufbaute und fast 30 Jahre lang leitete.

Im Rückblick sind die anfänglichen Tränen nicht mehr als eine unterhaltsame Anekdote. Dagmara Jajeśniak-Quast bereut ihre Entscheidung gegen die traditionsreiche Jagiellonen-Universität ihrer Heimatstadt Krakau und für das Experiment Viadrina nicht und auch Ulrike Hartmann deutet das mitunter herausfordernde Ankommen positiv. „Die Absolventen, die hier in der Region verblieben sind, sind alle erprobt in der Bewältigung kritischer Situationen“, sagte sie bestimmt im Gespräch mit Uwe Rada, Autor der 30 Texte in dem Buch.

Dass die Ankunft auch ganz anders laufen konnte, zeigt die Erinnerung von Prof. Dr. Rita Aldenhoff-Hübinger, die mit ihrem Mann und der gemeinsamen Tochter 1994 schnell eine Frankfurter Wohnung und Gefallen an der Stadt fand. „Ich habe abends nicht geweint; ich habe auf unserer Terrasse gestanden und gedacht: Mein Gott, wo sind denn hier die Leute?“ Und auch diese Ruhe stellte sich schnell als Vorzug der neuen Heimat heraus, in die sie als Stipendiatin und „mitreisende Ehefrau“ von Prof. Dr. Gangolf Hübinger gekommen war. Viel lieber als über all die Klischees vom piefigen Frankfurt spricht sie über die „vibrierenden“ 90er-Jahre mit spannenden Exkursionen im Uni-Bus zu polnischen Gutshöfen und aufregenden Erkundungstouren über das Gelände des Stahlwerkes in Eisenhüttenstadt.

Überhaupt wird an diesem Abend deutlich: Die der Viadrina auferlegten Prüfungen konnten der Gründungsidee nichts anhaben, sie formten die Europa-Uni und ihre Gründungsgeneration. Die Herausforderungen machten aus ihr eine Gruppe von Möglichmacherinnen und Möglichmachern, wie Uwe Rada sie nennt. Beatrix Eckert, die heute das Dezernat für studentische Angelegenheiten leitet, beschreibt die erste Zeit, in der alles von Null an in Windeseile geschaffen werden musste, mit den Worten: „Wir haben damals angefangen, Universität zu spielen.“ Sie gehörte zu den ersten Frankfurterinnen, die in der Uni-Verwaltung eingestellt wurden – begehrte Jobs in der Wende-gebeutelten Stadt; auf acht Stellen seien im März 1992 1.200 Bewerberinnen und Bewerber gekommen. Auf die spitze Frage von Uwe Rada, ob da die Ost-Frauen die Arbeit und die West-Männer Karriere gemacht hätten, entgegnet sie überlegt: „So habe ich das nie empfunden.“ Überhaupt sei die Europa-Uni damals wie heute ein fortschrittlicher Ort: „Dieses Ossi-Wessi-Denken gab es bei uns nicht und auch das Gendern, über das sich heute noch so aufgeregt wird, war bei uns normal. Einen Studierendenausweis gab es hier schon seit 1992.“

Dass der Gründungsgeist auch mehr als 30 Jahre später noch von großer Bedeutung in Frankfurt (Oder) ist, betonte Viadrina-Präsidentin Prof. Dr. Eva Kocher. „Dieses Buch erzählt von der Kreativität, Energie und Lust, etwas Neues zu schaffen“, hatte sie zu Beginn der Lounge-Lesung gesagt und den Bogen in die Gegenwart gespannt. Mit dem geplanten Zukunftszentrum, als dessen Standort sich Frankfurt (Oder) bewirbt, habe man ein neues Projekt vor sich, das eine ähnliche Herausforderung darstelle. „Man kann mit diesem Buch lernen, wie so etwas funktioniert“, sagte sie.

Text: Frauke Adesiyan
Fotos: Heide Fest

Zum Mitschnitt der Veranstaltung

Das Buch „Eine unmögliche Universität – 30 Prüfungen, die die Europa-Universität Viadrina bestehen musste“ ist im Vergangenheitsverlag erschienen.

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