„Die einzige Sorge des damaligen Oberbürgermeisters war das Image der Stadt“ – Podiumsdiskussion über rechte Gewalt gegenüber Viadrina-Angehörigen in den 1990er-Jahren

Es ist ein bisher unerforschtes Thema in der Geschichte der Viadrina: die rassistischen Angriffe auf Studierende und Mitarbeitende nach dem Mauerfall. In drei Semestern recherchierten Studierende in den Archiven von Stadt, Zeitungsverlagen und Universität zu rechtsextremen Vorfällen in der Grenzstadt mit ihrer 1991 neu gegründeten Universität. Das Ergebnis der Recherche ist in der Ausstellung „GrenzGewalt und die Viadrina in den 1990er Jahren“ zu sehen. Zur Eröffnung der Ausstellung am 23. Juni 2022 fand eine Podiumsdiskussion mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen statt.

Wie kann man die Erfahrungen, die man selbst in den sogenannten „Baseballschlägerjahren“ gemacht hat, einer Generation vermitteln, die davon noch nie gehört hat? „Das ist schwierig“, sagt Viadrina-Vizepräsidentin Janine Nuyken, die als Zeitzeugin an der Podiumsdiskussion teilnimmt. „Die denken, man erzählt ihnen eine Räuberpistole. Das ist ein unangenehmes Gefühl, denn es ist ja kein Krimi, sondern damals wirklich passiert. Und es hat viel Leid verursacht.“ Es gab Molotow-Cocktail-Anschläge auf ein Studierendenwohnheim, Pöbeleien und Überfälle auf polnische Studierende, die sich danach nicht mehr trauten, auf der Straße ihre Muttersprache zu sprechen, rassistische Übergriffe und Gewalttaten. „Bei unserer Recherche in den Archiven hat uns die schiere Anzahl der Berichte über rechtsextreme Vorfälle schockiert“, erzählt die Kulturwissenschaftlerin Maria Klessmann am Rande der Eröffnung. Sie hat das Projekt gemeinsam mit dem Kulturanthropologen Florian Grundmüller und den Viadrina-Studierenden Ronja Kroll und Georg Hartmann ins Leben gerufen.

grenzgewalt1 ©Jessica Wolff

Manche Angriffe waren so brutal, dass die Opfer noch heute an den Folgen leiden. Davon berichtet Viadrina-Alumnus und Menschenrechtsanwalt Kamil Majchrzak aus Polen, der neben Janine Nuyken und Hannes Püschel vom Verein Opferperspektive e. V. auf dem Podium sitzt. Der Jurastudent wird zweimal innerhalb eines halben Jahres Opfer von rechtsradikalen Übergriffen. Ende Oktober 1997 wird er gemeinsam mit einem Kommilitonen krankenhausreif geschlagen. Als Folge der Gewalttat ist Majchrzak zu 40 Prozent Invalide. Das erzählt er nüchtern, schnell. Er mag dieses „Etikett“ nicht, Opfer rechter Gewalt zu sein. „Das wird man nicht mehr los. Selbst für die Viadrina und für die Antifa, die einzigen, die mir damals geholfen haben, war man dann nur noch Betroffener von rechter Gewalt.“ Lieber will er darüber sprechen, wie zu dieser Zeit mit dem Rechtsextremismus in Frankfurt (Oder) umgegangen wurde. „Der damalige Rektor der Viadrina, Herr Weiler, war der Einzige, der mich im Krankenhaus besuchte. Er hat sich sogar für Oberbürgermeister Wolfgang Pohl entschuldigt, der nicht kommen wollte.“ Dessen einzige Sorge sei das Image der Stadt gewesen, so Majchrzak. „Es war völlig egal, wer auf die Fresse bekommt, was mit den Leuten passiert, die von rechter Gewalt betroffen waren, welche rechtsextremen Strukturen es in der Stadt gab und ob man die angeht.“ Dass es jetzt zum ersten Mal eine institutionelle Annäherung an diese Zeit gibt, berühre ihn, sagt Majchrzak.

Nuyken betont, dass man sich damals schwertat zu erkennen, ob es sich um ein strukturelles Problem handelte oder um Einzelfälle. Wichtig sei aber, die Verantwortung für die damaligen Geschehnisse nicht allein an die Stadt abzugeben. Die nicht aufgearbeitete Geschichte dieser Zeit wirke als Unwissen und Unsicherheit nach – gerade bei Mitarbeitenden und Studierenden, die neu an die Uni kommen. Es war den Ausstellungsmacherinnen und -machern ein Anliegen, mit der Podiumsdiskussion auch die Kontinuität rechter Gewalt in den Blick zu nehmen.

grenzgewalt2 ©Jessica Wolff

Die Ausstellung liefert Innenansichten aus der Universität und einen Blick auf das Gesamtgefüge von Stadt, Öffentlichkeit und Universität zu dieser Zeit. Ausstellung und Podiumsdiskussion ermöglichen durch die dargestellten Fallbeispiele und die Berichte der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen einen persönlichen Zugang auch für neue Generationen, die das Geschehene nicht selbst erlebt haben.

Vizepräsidentin Nuyken freut sich über diese „tolle studentische Initiative“. Sie betont aber, dass sie deren Arbeit nicht als universitäres Verdienst vereinnahmen will. Es sei ein guter Anlass, die Baseballschlägerjahre auch gemeinsam mit ehemaligen und aktuellen Studierenden aufzuarbeiten.  Das Ausstellungsteam hat bereits mehrere Ideen und Angebote für eine Weiterentwicklung des Projektes und freut sich über die Unterstützung von Seiten der Universität und das große Interesse der Studierendenschaft an der Veranstaltung.

Die Ausstellung ist bis 13. Juli im Atrium des Gräfin-Dönhoff-Gebäudes zu sehen.

(YM, Maria Klessmann)

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