„Ich habe hier einen Raum bekommen, den ich mit großer Freude bespielt habe“ – Prof. Dr. Bożena Chołuj verabschiedet sich in den Ruhestand

Nach 24 Jahren hat Prof. Dr. Bożena Chołuj zum Ende des Wintersemesters 2021/22 die Viadrina in den Ruhestand verlassen. Am 28. April wird die frühere Inhaberin der Professur für Deutsch-Polnische Kultur- und Literaturbeziehungen und Gender Studies offiziell verabschiedet. Sie schaut zurück auf eine intensive Zusammenarbeit mit Mitarbeitenden und Studierenden, auf gelebte Interkulturalität an der Viadrina, auf ihre mitunter nervenaufreibenden „Kritzeleien“ in studentischen Arbeiten und die Notwendigkeit im Fakultätsrat auch mal „zu donnern“.

Wer bei Bożena Chołuj in der Sprechstunde saß, musste Zeit mitbringen und manchmal starke Nerven. „Ich kritzele sehr viel in einer Arbeit. Wenn das die Studierenden sehen, kommt es oft zum Zusammenbruch. Dabei sage ich immer wieder: Wenn ich mir die Zeit zum Kritzeln nehme, ist das Thema toll.“ Und es waren die Themen, um die es ihr immer ging: über die Inhalte begegnete sie ihren Studierenden und Promovierenden „im Humboldtschen Sinne“ auf Augenhöhe.

2019 mit Ágnes Heller ©Fotos Heide Fest; Collage FA

Welch eine ungewöhnliche Themenzusammensetzung ihre Arbeit umfasste, lässt der Titel der Professur erahnen, die sie bis 2022 innehatte:  Deutsch-Polnische Kultur- und Literaturbeziehungen und Gender Studies. „Drei Themen mit einer halben Stelle, das ist schon paradox“, sagt Bożena Chołuj, die während ihrer 24 Jahre an der Viadrina durchgehend parallel auch immer eine Professur an der Universität Warschau hatte. Dieses Arbeiten in den Wissenschaftssystemen zweier Länder ließ sie nicht nur an ihre Belastungsgrenze kommen, es ließ sie auch praktisch erfahren, was sie erforschte: eine komplexe Interkulturalität.

Zu Anfang war es ihr Mitarbeiter Ulrich Räther, der sie „in die Geheimnisse der Uni-Verwaltung und des sozialen Lebens“ an der Viadrina einführte. „In dem Sinne: ,Sei nicht so asozial‘ bekämpfte er meine Scheu“, erinnert sie sich. Vom Lehrstuhl am Collegium Polonicum führte immer öfter der Weg in die Viadrina-Gebäude in Frankfurt (Oder), dort wurde sie aktives Mitglied im Fakultätsrat und erlebte eine komplett andere akademische Kultur als in ihrer polnischen Heimat-Universität. „Das hat mich immer sehr stark fasziniert, diese Diskussionsfreudigkeit“, sagt sie noch heute.

Anlass zur Diskussion boten für sie die Äußerungen von Kollegen, bei denen sie eine „hegemoniale Haltung“ gegenüber polnischen Studierenden beobachtete. Wenn jemand davon sprach, mit den polnischen Studierenden nachsichtig zu sein, weil die das Deutsche nicht beherrschen würden, wenn jemand mokierte, die Polinnen und Polen kämen herausgeputzt aber still in Prüfungen und schauten mit großen Augen ihre Prüferinnen und Prüfer an, war es Bożena Chołuj, die widersprach: „Dagegen habe ich gedonnert und gesagt, die Maßstäbe müssen für alle Studierenden die gleichen sein.“ Sie machte ihre Kolleginnen und Kollegen darauf aufmerksam, dass die Unterschiede unter anderem im hierarchischen polnischen Schulsystem begründet sind.

Die Auswirkungen dieser Unterschiede spürte sie auch in ihren eigenen Seminaren. Zu Beginn bot sich ihr oft dieses Bild: „Auf der rechten Seite am Fenster saßen die deutschen und auf der linken saßen die polnischen Studierenden. Dazwischen gab es eine Kluft.“ Während rechts diskutiert wurde, blieb die linke Hälfte still. Bis zu einem Seminar über „Antisemitismus ohne Juden“, erinnert sich Bożena Chołuj genau. „Die Studierenden haben sich als neue Generation verstanden, die das Thema gemeinsam angehen kann.“ Sie haben Paare gebildet, gemeinsam Exkursionen unternommen und mit ihren Eltern und Großeltern über das Thema gesprochen – eine bleibende, eindrucksvolle Erinnerung der Kulturwissenschaftlerin und ein Zeichen dafür, welche Spuren ihre Lehre hinterlassen hat.

Den Aufbau des Studienganges Interkulturelle Germanistik kann Bożena Chołuj genauso zu ihren Verdiensten an der Viadrina zählen, wie die Entwicklung eines Gender-Moduls für die Lehre. Dass es mit ihrem Weggang nun aber keine Gender-Professur mehr an der Viadrina gibt und auch nie ein Gender-Studiengang etabliert werden konnte, ärgert sie im Rückblick. „Das wäre gerade hier an der Grenze so interessant mit den ganz unterschiedlichen Gender-Konzepten auf deutscher und polnischer Seite.“

Lieber als über den Ärger spricht sie aber über die enormen Möglichkeiten, die sie an der Europa-Universität hatte und die sie mit großer Leidenschaft – und vielen Überstunden – ausgeschöpft hat. „Ich habe hier einen Raum zur Verfügung bekommen, den ich mit großer Freude bespielt habe – mit den Studierenden und mit meinen Mitarbeitenden, mit denen ich so viel Glück hatte.“ Neben Ulrich Räther aus den Anfangsjahren erwähnt sie Dariusz Balejko, Jenny Ramme und vor allem Antonina Balfanz, die heutige Koordinatorin des Studienganges Interkulturelle Germanistik.

20220428_Abschied-Bozena-Choluj _UV_3931 ©Heide Fest

Am 28. April 2022 feierte Bożena Chołuj im Kreis ihrer früheren Kolleginnen und Kollegen Abschied im Collegium Polonicum.


Dass ihr der Abschied trotz allem nicht nur schwer fällt, erklärt Bożena Chołuj mit den aufreibenden Pandemie-Semestern, die die Freude an direkter Begegnung genommen haben, mit wachsenden Aufgaben, die sie in ihrer Familie erfüllen muss, und mit der Vorfreude auf die Zeit, die ihr nun zum Schreiben von Büchern bleibt: „Ich habe so viele Erkenntnisse gewonnen, doch für das Schreiben braucht man Zeit, um sich zurückzuziehen. Die habe ich jetzt.“
(FA)

Kontakt

Abteilung für
Hochschulkommunikation
Tel +49 335 5534 4515
presse@europa-uni.de

Sitz:
Hauptgebäude
Räume 114-117, 102

Postanschrift:
Große Scharrnstraße 59
15230 Frankfurt (Oder)