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Viadrina Institut für Europa-Studien (IFES)

1. Projektinhalt und Forschungsinteressen

INTERDISZIPLINÄR – TRANSNATIONAL – REGIONAL
Das transnationale Projekt verortet sich im Bereich der interdisziplinären Public History-Forschung.
Unsere Ausgangshypothese lautet, dass sich heutige Geschichtsdeutungen als Positionierung für
oder wider das liberaldemokratische Projekt lesen lassen. Auf Grundlage dieser Annahme wird
analysiert, welche Rolle die lokale bzw. regionale Ebene im Sinne von Orten, Akteuren und Politiken
im Widerstreit um liberaldemokratische Perspektiven spielt und wie sie sich zu nationalen und
transnationalen historischen Narrativen verhält.

KONKURRIERENDE GESCHICHTSDEUTUNGEN
Mit dem allmählichen Aussterben der Zeitzeugengeneration und durch die identitätspolitische
Relevanz (oft konkurrierender) nationaler Geschichtsdeutungen ist „Geschichte“ zu einer
besonderen Arena gesellschaftlicher und politischer Auseinandersetzungen geworden. Zwar folgten
solche Deutungen schon immer auch politischen Zwecken. So zeugen Gesetzgebungen etwa gegen
Holocaust-Leugnung, Ansätze europäischer Identitätskonstruktionen durch Museen, EUResolutionen oder nationale Denkmalsinitiativen von dem Versuch, liberale Werte einer pluralistisch
und individuell-freiheitsrechtlich organisierten Gesellschaft auch historisch zu begründen und
erfahrbar zu machen. Zeitgleich oder gerade deswegen rekurrieren auf der anderen Seite auch
illiberale oder antidemokratische Akteure auf historische Bezüge, um kollektive Identitätsnarrative
zu konstruieren, die sich gegen das liberale Projekt wenden.

ERINNERUNGSPLURALISMUS ALS NORM
Wenn, normativ gesehen, Erinnerungspluralismus ein Kennzeichen liberaler Demokratien ist, so sind
angesichts des Erstarkens rechtspopulistischer Akteure die Versuche, einen hegemonialen
nationalistischen Erinnerungsdiskurs zu etablieren, ein Zeichen für die Krise der liberalen
Demokratie. Vor diesem Hintergrund lautet die Ausgangshypothese dieses Projektes, dass liberale
Demokratien zum Austragungsort und zum Gegenstand geschichtspolitischer Auseinandersetzungen
geworden sind. In diesem Sinne lassen sich historische Narrative politischer oder
(zivil)gesellschaftlicher memory actors zugleich als Positionierungen für oder gegen das
liberaldemokratische Projekt verstehen.

PUBLIC HISTORY UND MEMORY ACTORS
Konzeptionell steht der Begriff von Public History im Zentrum unseres Projektes. Er betrachtet
Geschichte sowohl als Forschungsperspektive wie auch als öffentliche Arena politischer
Auseinandersetzungen und nimmt dafür ein breites Spektrum an memory actors aus Wissenschaft,
Politik und (Zivil)gesellschaft in den Blick. So gesehen sind auch die teilnehmenden Expert*innen z.B.
aus der Erinnerungspraxis (wie Museen und Bildungseinrichtungen) selbst memory actors, die, in
den theoretischen wie empirisch-historischen wie sozialwissenschaftlichen Diskurs integriert, helfen,
neue Perspektiven und Fragestellungen zu entwickeln.

REGIONALE PERSPEKTIVE
Für die Projektveranstaltungen ist die Frage leitend, welche Rolle die lokale bzw. regionale Ebene im
Sinne von Orten, Akteuren und Politiken in den heutigen geschichtspolitischen Debatten einnimmt.
Damit werden die dominanten nationalen Bezugsrahmen mit konkreten Fällen deutsch-polnischer
Verflechtungen in Vergangenheit wie Gegenwart kontrastiert. Es geht es um Umdeutungsprozesse
konkreter Orte mit nationaler Relevanz und somit um die Bedeutung des Lokalen für die
Konstruktion nationaler oder transnationaler historischer Narrative oder Praktiken – hier mit
Breslau/Wrocław, Stettin/Szczecin und Frankfurt(Oder)-Słubice insbesondere die Städte der
Partnerinstitutionen, die alle eine deutsche und polnische Vergangenheit wie Gegenwart haben.