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Das Viadrinicum im Jahr des Experimentierens – Eindrücke von einer hybriden Sommerschule

Überraschend gut – so lautet das Fazit der Sommerschule Viadrinicum, die in diesem Jahr erstmals als Mischung aus digitalen Formaten und Offline-Begegnungen stattfand. Vom 17. bis 30. August kamen Studierende, Kunstschaffende sowie Aktivistinnen und Aktivisten aus vielen Ländern – zumeist virtuell – zusammen, um zum Thema (Post-)Migration zu arbeiten. Vier Schlaglichter auf diese außergewöhnlichen zwei Wochen:

Die Teilnehmenden: International und engagiert
Tag für Tag loggten sich 25 bis 30 Teilnehmende u. a. in Warschau, Portland, Kiew, Frankfurt (Oder), Minsk, Moskau, Baku, Göteborg und Neu-Delhi ein. „Dieses Jahr ist ein Jahr des Experimentierens mit und der Suche nach alternativen Formaten für Projekte, Sommerschulen, aber auch für Arbeit, soziales Leben und Solidarität. Deshalb war es wichtig, die diesjährige Sommerschule nicht auszusetzen und aus den Erfahrungen zu lernen“, fand Ruslana Koziienko aus Kiew. Die Doktorandin an der Central European University war dabei, weil sie sich als Forscherin dem Thema Migration nicht entziehen kann. Das Viadrinicum ist für sie gelebte Vielfalt und Weltoffenheit. Die internationalen Co-Thinkers – die Mitdenkenden – sind auch für Alexandra Philippovskaya aus Moskau der große Gewinn der Sommerschule. Sie ist im Garage Museum of Contemporary Art für die Arbeit mit Migrantinnen und Migranten verantwortlich: „Die Vorträge und Workshops sowie der Erfahrungsaustausch mit den Teilnehmenden helfen mir, mein Wissen zu vertiefen und neue Projekte zu entwickeln.“  Carolin Fackeldey, die an der TU Chemnitz studiert, kennt das Thema der Sommerschule als Aktivistin der Seenot-Rettungsaktion Sea-Eye e. V.  ganz genau. Eine Herausforderung sei das dichte Programm dennoch. „Wir bekommen ständig neue Informationen und Eindrücke geboten und arbeiten parallel dazu an unseren Projekten“, berichtete sie. Das sei eine anstrengende aber positive Gelegenheit der persönlichen und akademischen Weiterentwicklung.

Montage_Viadrinicum (002) ©Fotos: Privat; Collage: Heide Fest

Das Format: hybrid
Bei der Abschlussveranstaltung wurde der hybride Charakter des Viadrinicums besonders deutlich. Die rund 20 Gäste in der Rathaushalle des Brandenburgischen Landesmuseums für Moderne Kunst (BLMK) wohnten einer sorgfältig orchestrierten Veranstaltung bei: drei Leinwände unterbrachen mit digitalen Inhalten die Gewohnheiten einer Ausstellung. Moderator und Koordinator der Sommerschule, Stefan Henkel, sprach – mal abwechselnd, mal gleichzeitig – das Publikum in der Rathaushalle und das Publikum im virtuellen Raum an. BLMK-Direktorin Ulrike Kremeier verriet zur Begrüßung, dass sie überrascht war, dass ein digital-hybrides Format so gut aufgehen kann.

Einen Nachmittag lang präsentierten und diskutierten alle Teilnehmenden ihre Forschungsergebnisse der vergangenen zwei Wochen. Die meisten waren per Videokonferenz aus elf Ländern zugeschaltet. Auf einer zweiten Leinwand wurden Kurzfilme gezeigt, die während der Sommerschule entstanden waren. So zeigte zum Beispiel Saymore Ngonidzashe Sayid'Ali Kativu seinen fünfminütigen Dokumentarfilm zur Frage: Wo und was ist „zu Hause“? Was bleibt von der eigenen Identität, wenn man migriert und sich in eine neue Gesellschaft integriert? Er hat dafür den in Zimbabwe geborenen Künstler ManLuckerz interviewt, der seit 20 Jahren in Schweden lebt. Auf der dritten Leinwand konnten die Gäste die komplette Ausstellung aller Sommerschulen-Ergebnisse in einem virtuellen Raum ansehen. Darunter auch Interviews, die Maria Fomina mit sogenannten jüdischen „Kontingentflüchtlingen“ der 2. oder 3. Generation über deren Identität(en) geführt hat. >>>weiterlesen

Fotos: Ulrike Polley / Irina Kovalenko

Die Veranstaltungen: Theorie, Praxis, Vielfalt
Mit der Kulturwissenschaftlerin und Aktivistin Peggy Piesche konnten die Teilnehmenden die Schichten von Rassismus und Ausgrenzung im Alltag erforschen. Virtuelle Live-Führungen machten aktuelle Ausstellungen in Frankfurt (Oder) und Berlin erlebbar. In Fallstudien erfuhren sie aus erster Hand, wie es Geflüchteten und Arbeitsmigrantinnen und -migranten in Polen, Aserbaidschan, der Ukraine und Frankfurt (Oder) geht. Hinzu kamen wissenschaftliche Vorträge zu Migrationsforschung und Postmigration. Der dichte inhaltliche Input wurde immer wieder unterbrochen von sogenannten Lab-Workshops, in denen die Teilnehmenden ihre eigenen Projekte – Interviews, Studien, Kurzfilme – voranbrachten. Einer der öffentlichen Höhepunkte der Sommerschule war eine Gesprächsrunde mit Dr. Estela Schindel vom Viadrina Institut für Europastudien, dem ukrainischen Menschenrechtsaktivisten Maksym Butkevych und Altynay Kambekova von der queer-feministischen Initiative „Feminita“ aus Kasachstan sowie Prof. Dr. Gwendolyn Sasse, Direktorin vom Zentrum für osteuropäische und internationale Studien, ZOiS. Aus ganz unterschiedlichen regionalen, methodischen und thematischen Blickwinkeln schauten sie auf die Frage, wie die aktuelle Pandemie Migrationsfragen beeinflusst und ob eine Rückkehr zur „Normalität“ möglich und wünschenswert ist.

Viadrinicum_c_Iryna Kovalenko_600 ©Iryna Kovalenko

Die Macher: Überrascht und zufrieden
Wie schafft man es, ein digitales, interaktives Programm zusammenzustellen, dass 30 Teilnehmende für zwei Wochen zur aktiven Mitarbeit motiviert? Das war die Hauptfrage, die sich Stefan Henkel und Kirill Repin vor der diesjährigen Sommerschule gestellt haben. Es war das große Engagement der Viadrinicum-Teilnehmenden, die sich trotz des dichten Zeitplans mit Hingabe ihren Projekten widmeten, das Stefan Henkel am meisten freute: „Das hat gezeigt: Unser Format kann auch digital klappen. Man kann auch so lernen und zwar aktiv – nicht nur als Zoom-Zuschauer.“

In der Woche nach dem Programm ist für ihn und Kirill Repin noch kein Durchatmen angesagt. Sie sitzen nun an Berichten und Abrechnungen. Was zur Nacharbeit auch dazu gehört: Gespräche mit Partnern wie dem BLMK und dem ZOiS. Deren Rückmeldungen sind genau wie die der Teilnehmenden äußerst positiv – und überrascht. Kaum jemand hat offensichtlich vorab damit gerechnet, dass die Hybridisierung des Viadrinicums so gute Ergebnisse hervorbringt. 2021 erwarten die Organisatoren die Teilnehmenden dann aber wieder an der Oder, denn kein noch so gut und vielfältig geplantes, digitales Programm ersetzt die Offline-Interaktion. „Für mich waren der erste und der letzte Tag die erkenntnisreichsten Momente“, fasst Kirill Repin zusammen. „Am ersten Tag waren wir euphorisch, dass die Leute unser Format akzeptieren. Am letzten Tag kamen einige Teilnehmende in Frankfurt zusammen, um die Ausstellung vorzubereiten. Gemeinsam arbeiten, gemeinsam abendessen gehen, das war fast wie früher. Das hat gefehlt.“
(UP/FA)

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