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Der eigentliche Auftrag des Robert Koch-Institutes ist es, Krankheiten zu erkennen, zu verhüten und zu bekämpfen. Die Rolle im Fokus der breiten Öffentlichkeit, die es seit Beginn der Corona-Pandemie hat, ist neu: regelmäßige öffentlichkeitswirksame Pressekonferenzen, millionenfach geklickte Grafiken und in den Hauptnachrichtensendungen ausgesprochene Warnungen gehören nun zum RKI-Alltag. Statt wie bisher üblich dem Gesundheitsministerium, dem das Institut unterstellt ist, Fakten zuzuarbeiten, rückte das RKI selbst und mit ihm sein Leiter Lothar Wieler in den Fokus des öffentlichen Interesses. „In der Coronazeit hat die Kommunikation angesichts von Unsicherheit und Informationsdefiziten einen großen Stellenwert und das Robert Koch-Institut eine ganz zentrale Rolle eingenommen“, erklärt Elisa Lehrer ihr Forschungsinteresse. „Allerdings haben Teile der Bevölkerung sehr unterschiedlich darauf reagiert, was uns zur Frage von Intention und Strategie der Kommunikation des RKI geführt hat.“
Lorenzo Skade betont, dass die Corona-Krise durch Kommunikation konstruiert wird. „Ja, es gibt objektiv ein natürliches Virus, das auch messbar ist. Aber es gibt Akteure, die Schwellenwerte festlegen und Institutionen– in dem Fall das RKI – die öffentlich kommunizieren: Wir haben eine Krise. Das ist ein performativer Akt: Indem über die Krise gesprochen wird, wird sie erst wahr“, so Skade. Das sei zwar eine radikale Sichtweise, sie ermögliche aber, Intention und Wirkung der Kommunikation besser zu verstehen. Krisenkommunikation sei im besten Falle strategische Kommunikation. Während Strategie immer ein Ziel verfolgt, war genau dieses Ziel in den ersten Monaten oft gar nicht klar. Zusätzlich machen die lange Zeit der Pandemie, der wellenartige Verlauf mit Phasen, in denen das Virus beinahe unsichtbar wird, und die Unsicherheit vor allem in den Anfangsmonaten den Fall Corona-Kommunikation des RKI so interessant für das Viadrina-Team. Bisherige Studien gehen vor allem von Krisen als einmalige Events, nicht aber als dauerhafte, langwierige Zustände, aus.
Forschungsteam: Prof. Dr. Jochen Koch, Yanis Hamdali, Lorenzo Skade und Elisa Lehrer
Für ihre Untersuchung sammeln Elisa Lehrer und Lorenzo Skade seit Februar 2020 alle öffentlichen Daten des RKI: von den Pressekonferenzen und Briefings über die täglichen Dashboards mit den aktuellen Zahlen bis hin zu Impfempfehlungen. In ihrer Analyse arbeiten sie heraus, wie die Kommunikation sich in Takt, Inhalt und Art im Pandemieverlauf wandelt. Hierbei verweisen die beiden Forschenden auf die zahlreichen Presseauftritte des Institutes während der ersten COVID-19-Welle im Vergleich zu der darauffolgenden eher anlassbezogenen Kommunikation während des sogenannten Sommerplateaus 2020.
So stand am Anfang die Übermittlung der reinen wissenschaftlichen Fakten. Oder wie Elisa Lehrer es nach Jürgen Habermas bezeichnet: „Am Anfang fokussierte die Kommunikation die Logik des besseren Arguments“. Demnach müsste jeder Rezipient eigentlich das Gleiche aus den kommunizierten Fakten schließen. Schnell wurde aber deutlich: Die faktenbasierten Erkenntnisse müssen verständlich gemacht –„übersetzt“ – werden, um Handlungsempfehlungen abzuleiten. RKI-Chef Lothar Wieler wurde im Verlauf der Pandemie zum Warner und Mahner, forderte härtere Maßnahmen und flehte geradezu darum, die Pandemie ernst zu nehmen.
Dass die Inhalte, die das RKI kommunizierte, in der Öffentlichkeit auch auf Kritik stießen, lag mitunter an sich wandelnden Einschätzungen. So wurden medizinische Masken zunächst als unnütz abgetan, bevor mit dem ersten Lockdown die Kehrtwende kam und sie verpflichtend wurden. Auch mit der Einführung der Impfungen kam es immer wieder zu neuen Einschätzungen. „Das ist nur im ersten Moment erschreckend, im zweiten ist es beruhigend“, findet Lorenzo Skade. „Es ist normal im wissenschaftlichen Arbeiten, dass sich Erkenntnisse ändern. Diese Transparenz sollte eigentlich zu mehr Vertrauen führen.“ Daher ist eine der entscheidenden Erkenntnisse aus der Corona-Krise für Lorenzo Skade: „Es gibt viel dazuzulernen in der Wissenschaftskommunikation, da ist das RKI nicht die einzige Institution. Es muss viel mehr Übersetzungsarbeit betrieben und in dahingehende Kompetenzen investiert werden.“
Ihr Paper haben Elisa Lehrer, Lorenzo Skade, Yanis Hamdali und Jochen Koch immer wieder weiterentwickelt und auf zahlreichen wissenschaftlichen Konferenzen vorgestellt; in Toronto wurden sie dafür von der Strategic Management Society mit dem „Best PhD-Paper Award“ ausgezeichnet. Dennoch sind viele Fragestellungen noch offen und auch methodisch wollen sie ihre Forschung erweitern und zukünftig beispielsweise mit Akteurinnen und Akteuren aus dem RKI Interviews führen.
(FA)
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