„Gäbe es doch mehr solche Mittler, die den Elfenbeinturm verlassen“ – Prof. Dr. Klaus Ziemer erhält 23. Viadrina-Preis

Am 16. Mai 2024 nahm der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Klaus Ziemer im Logensaal den 23. Viadrina-Preis entgegen. Er wurde damit für seine wissenschaftliche Arbeit zum deutsch-polnischen Verhältnis, aber auch für sein unermüdliches persönliches Engagement für die deutsch-polnische Verständigung geehrt. In seiner Laudatio ehrte Prof. Dr. Peter Oliver Loew den Preisträger als integer, gewissenhaft und voller Arbeitseifer.

Mit dem Viadrina-Preis ehre die Europa-Universität Persönlichkeiten, „denen das Deutsch-Polnische, das Polnisch-Deutsche, tief im Herzen liegt und die aus diesem tiefen Herzensgrund heraus das freundschaftliche, das friedliche, das versöhnliche Miteinander erstreben.“ Mit diesen Worten begrüßte Viadrina-Präsident Prof. Dr. Eduard Mühle die Gäste im voll besetzten Logensaal. Er beschrieb damit gleichzeitig treffend den diesjährigen Preisträger Prof. Dr. Klaus Ziemer. Ohne Zweifel gehört der emeritierte Professor der Universität Trier und der Kardinal-Stefan-Wyszyński-Universität in Warschau, der zehn Jahre lang das Deutsche Historische Institut in Warschau leitete, zu den Menschen, die sich laut Eduard Mühle „wie selbstverständlich zwischen beiden Ländern, beiden Kulturen, beiden Sprachen bewegen“ und für die dieser Preis gedacht ist.

In seiner Laudatio beschrieb Prof. Dr. Peter Oliver Loew, Direktor des Deutschen Polen-Instituts, den 1946 in Heidelberg geborenen Klaus Ziemer als „einen in allen Aspekten integren Kollegen, der nie als erster nach dem Lorbeerkranz greift, ihn aber verdient hat wie wenig andere“. Unermüdlich und voller Arbeitseifer gehe Klaus Ziemer der selbstgesetzten Aufgabe nach, in der deutschen und der polnischen Gesellschaft über die jeweiligen Nachbarn aufzuklären. Er tat und tut dies, so wurde es in der Laudatio deutlich, in ungezählten Vorträgen, auf Podien und in Veröffentlichungen. Vor allem aber hat er ganze Generationen von jungen Forschenden geprägt, die bei ihm in Deutschland und in Polen studierten und ihre Abschluss- und Doktorarbeiten schrieben.

Zu seinem Lebensthema kam Klaus Ziemer über Umwege. Zunächst waren dem in Mannheim Aufgewachsenen Frankreich, die französische Sprache und die politischen Entwicklungen im frankophonen Afrika näher als Polen. „Ein Polenforscher, der in Afrika begann? Was aus heutiger Perspektive ein wenig befremden mag, stellte sich in den 1970ern und 1980ern anders dar, denn sowohl die jungen Staaten Afrikas als auch die Gesellschaften Ostmitteleuropas waren damit beschäftigt, sich aus imperialen Zwängen zu befreien oder sich zumindest darauf vorzubereiten“, schlug Laudator Loew den biografischen Bogen. Über die katholische Studierendengemeinde knüpfte Ziemer Kontakte nach Polen und lernte die polnische Studentin – seine spätere Frau – Ewa kennen. Als Besucher und „teilnehmender Beobachter“ erlebte er bei regelmäßigen Besuchen die großen historischen Umbrüche Polens mit. Seine Beschäftigung mit dem polnischen Nachbarland war dabei von Anfang an sowohl von der persönlichen Bindung und den dadurch möglichen Alltagserfahrungen geprägt, als auch vom wissenschaftlichen Interesse und von forschender Neugier. Diese Offenheit gepaart mit der intensiven Beschäftigung mit der polnischen Sprache ermöglichte es Ziemer später, sich gleichberechtigt und auf Augenhöhe als Universitätsprofessor in das deutsche und polnische Hochschulsystem einzubringen.

Die historische Verantwortung Deutschlands gegenüber Polen und die Möglichkeit der Versöhnung waren für Ziemer sowohl als Professor als auch als Leiter des Deutschen Historischen Instituts zentrale Themen. In seinen Dankesworten reflektierte er aber auch die Grenzen der geschichtswissenschaftlichen Arbeit für diese gesamtgesellschaftlichen Aufgaben. Denn auch wenn es in der Fachwelt anerkannte Arbeiten zu deutschen Kriegsverbrechen in Polen gebe, komme davon kaum etwas in deutschen Schulbüchern vor. „Entsprechend gering sind die Kenntnisse darüber“, so Ziemers Diagnose. Damit aber zumindest grundlegende Kenntnisse zum Allgemeinwissen in breiteren Teilen der deutschen Gesellschaft werden, müssten die Curricula im Geschichtsunterricht der Schulen entsprechend geändert werden, so sein Appell.

Dass Klaus Ziemer es auch nach der Emeritierung weiterhin als seine Aufgabe sieht, das Wissen über Polen und das Bewusstsein für die besondere deutsche Verantwortung zu vergrößern, wurde an diesem Abend der Preisverleihung deutlich. „Dass ich heute von der Viadrina als einer deutsch-polnischen Hochschule eine solche Auszeichnung erhalte, ist eine große Ehre für mich und zugleich Ansporn, mich auch weiterhin für intensive deutsch-polnische Beziehungen auf möglichst vielen Ebenen einzusetzen“, sagte er. Und Peter Oliver Loew fügte hinzu: „Gäbe es doch mehr solcher Mittler, die sich nicht zu schade sind, den akademischen Elfenbeinturm immer wieder zu verlassen und sich zu engagieren; in der großen weiten Welt aber auch daheim.“

Text: Frauke Adesiyan
Fotos: Heide Fest

Den diesjährigen Förderpreis des Viadrina-Preises erhielt die Initiative Students for Climate Justice.

Im Anschluss an die Preisverleihung fand eine Podiumsdiskussion zum Thema „Zwanzig Jahre nach der Osterweiterung – deutsch-polnische Verständigung auf dem Prüfstand“ statt

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