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05: "Räder müssen rollen für den Sieg" - "Koła muszą się toczyć dla zwycięstwa"

05-01-224-FamilieRichard_Hanna_Brigitte_Ursula_Guttstadt19.06.26 ©Sammlung der Familie Guttstadt

Richard Johann Guttstadt (hier mit seiner Frau Hanna und ihren Töchtern Brigitte und Ursula) war jahrzehntelang als Baumeister für die Eisenbahn tätig. Seit den 1920er Jahren war er Reichsbahnoberrat in Frankfurt (Oder). Auf Grundlage der Nürnberger Gesetze kategorisierten ihn die Nazis als Juden. Die Reichsbahndirektion Osten 1941 stellte in der Folge die Zahlung des Ruhegehalts an Guttstadt ein, nachdem kurz zuvor das Haus der Familie in der Sophienstraße enteignet worden war. Er wurde am 29. September 1942 ins das KZ Mauthausen deportiert; nur zwei Tage später war er tot.

[Sammlung der Familie Guttstadt]

05-3-Propaganda-rader ©Deutsches Historisches Museum, Bildarchiv

Während des Zweiten Weltkriegs stieg auch der zivile Verkehr enorm: durch Kinderlandverschickung, Verwundetentransporte und Transporte von Ausgebombten wuchs die Zahl der Fahrgäste auf über 3,5 Milliarden im Jahr 1943. Um der Wehrmacht trotzdem das für den Krieg notwendige Wagenmaterial bereitstellen zu können, sollte die Bevölkerung durch Propagandaaktionen von Privatreisen abgehalten werden.

[Deutsches Historisches Museum, Bildarchiv. In: Geschichte der Eisenbahn in Deutschland, Bd. 2, Im Dienste von Demokratie und Diktatur, Nürnberg 2002, S. 109.]

05-04-Bundesarchiv_Bild183-S78949 ©Bundesarchiv

In der unmittelbaren Nachkriegszeit war Frankfurt (Oder) Drehscheibe für vom Krieg entwurzelte Menschen. Einerseits wurden hier ehemalige sowjetische Kriegsgefangene versammelt und in die Sowjetunion weitergeleitet, andererseits kamen hier über eine Million Vertriebene aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten und entlassene Kriegsgefangene aus der Sowjetunion an. Die meisten passierten das Heimkehrerlager Gronenfelde, das direkten Bahnanschluss an die Bahnstrecke Berlin-Frankfurt (Oder) besaß. Über die Bahn wurden sie schließlich auch an ihre Zielorte in Deutschland weitertransportiert, wie hier im Jahr 1948.

[Bundesarchiv, Bild 183-S78949 / Fotograf: unbekannt]

05-Bhf-FFO-1963-kriegszerstort ©Sammlung ZBDR, Historische Sammlung DB AB

Die Kriegszerstörungen im Bahnbetriebswerk Frankfurt (Oder) sind auch 1963 noch nicht beseitigt.

[Sammlung ZBDR, Historische Sammlung DB AB]

"Räder müssen rollen für den Sieg" – Die Bahn im Nationalsozialismus und im Zweiten Weltkrieg

Während der nationalsozialistischen Herrschaft und des Zweiten Weltkriegs kam der Deutschen Reichsbahn eine herausgehobene Rolle zu: Erst als Massenverkehrsmittel für Kraft-durch-Freude-Reisen und Großveranstaltungen des Regimes, später als unverzichtbares Mittel für die Logistik des Krieges und Massenmordes.

Früh nutzte das nationalsozialistische Regime die Reichsbahn für seine Zwecke: Die Teilnehmenden im Kraft-durch-Freude-Reiseprogramm hatte die Deutsche Reichsbahn zu einem Bruchteil des regulären Fahrpreises zu befördern, sodass häufig nicht einmal die Selbstkosten des Unternehmens gedeckt waren. Während die ersten KdF-Fahrten kostenlos erfolgten, wurde später ein Nachlass in Höhe von 75 Prozent gewährt. Die gleiche Ermäßigung erhielten auch die bis 1,3 Millionen Fahrgäste (1938) zu den Reichsparteitagen in Nürnberg. Auch die großen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen belasteten die Finanzen der Reichsbahn, bei der zunehmend betriebswirtschaftliche Zielsetzungen von den Propagandazwecken des Regimes überlagert wurden. Schon 1933 war das „Unternehmen Reichsautobahnen“ als Tochter der Reichsbahn gegründet worden, um den Bau des Autobahnnetzes zu organisieren. Frankfurt wurde bereits 1937 an das Autobahnnetz angeschlossen. Auch im Bahnbetrieb selbst wurde die Zahl der Mitarbeiter zwischen 1933 und 1937 um mehr als 100.000 erhöht, um die Arbeitslosigkeit zu senken.

Die Instrumentalisierung der Bahn für die Ziele der Nationalsozialisten mündete schließlich im Kriegseinsatz: So stellte die Reichsbahn für den Überfall auf Polen über 180.000 Wagen für die Wehrmacht zur Verfügung. Sowohl im Feldzug gegen Polen wie auch bei den sogenannten „Blitzkriegen“ 1940 lag die Hauptaufgabe der Reichsbahn im schnellen Transport der Truppen an die Front und dem Wiederaufbau der in den Kriegen zerstörten Infrastruktur.

Besonders wichtig wurde die Bahn jedoch für den Truppen- und Rüstungstransport im Krieg gegen die Sowjetunion. Hier stieß die aus den Kriegen an der Westfront erprobte Strategie des schnellen Vorstoßens mit motorisierten Militärverbänden an ihre Grenze: Die weiten Wege zur vorrückenden Front und strenge Winter machten den motorisierten Verkehr unmöglich. Doch auch die Bahn konnte kaum die an sie gestellten Aufgaben bewältigen: Schneller Wiederaufbau zerstörter Infrastruktur, Umspuren russischer Breitspurstrecken auf europäische Normalspur, Sicherung des Nachschubs an Soldaten und Waffen, Fronturlauber- und Verwundetenverkehr. Gleichzeitig erwiesen sich auch die Züge der Reichsbahn als anfällig für Störungen in der Kälte des Winters.

Auch abseits der Front stieß die Reichsbahn an ihre Grenzen. Der Krieg sorgte für einen enormen Zuwachs im zivilen Verkehr in Deutschland, hinzu kamen die Züge der Kinderlandverschickung und die Transporte mit Ausgebombten. Um trotzdem genügend Züge für militärische Transporte zur Verfügung stellen zu können, wurde der reguläre Reiseverkehr stark eingeschränkt; Fahrkarten waren vielfach nicht mehr ohne weiteres zu bekommen. Mit Propagandaparolen wie „Die Räder müssen rollen für den Sieg!“ wurde Reisende wie Eisenbahner daran erinnert, Wagenraum zu sparen und effizient mit den vorhandenen Ressourcen umzugehen. Um Lücken beim Personalbestand zu stopfen, nutzte die Reichsbahn auch selbst ZwangsarbeiterInnen aus den eroberten Ländern, deren Transport ins Deutsche Reich sie abwickelte. So arbeiteten im Jahr 1943 rund 200.000 Zwangsverpflichtete und KZ-Häftlinge für die Reichsbahn.[i]

Ohne die aktive Beteiligung der Reichsbahn wäre auch die Ermordung von Millionen von Menschen im Holocaust nicht möglich gewesen. Allein nach Auschwitz transportierte die Reichsbahn schätzungsweise rund 3 Millionen Menschen in den Tod. Die Fahrten ließ sich die Bahn nach dem Tarif der 3. Klasse vergüten, unabhängig davon, ob Reisezugwagen oder Güterwaggons zum Einsatz kamen. Das Geld dafür wurde durch das „Reichssicherheitshauptamt“ von den Deportierten selbst eingezogen. Obwohl Frankfurt (Oder) an der direkten Strecke von Berlin nach Auschwitz lag, fuhren kaum Deportationszüge durch die Stadt, sondern nutzten die weniger ausgelastete Strecke über Cottbus. Der kriegswichtige Güter- und Militärverkehr und die regulären Passagierzüge hatten stets Vorrang. 

Auch Eisenbahner selbst fielen dem Terror der Nationalsozialisten zum Opfer. So beispielsweise auch der gebürtige Berliner Richard Johann Guttstadt, der seit den 1920er Jahren mit seiner Familie in Frankfurt (Oder) wohnte. Guttstadt war jahrzehntelang als Bauingenieur für die Eisenbahn tätig, zuletzt bei der Reichsbahndirektion Osten. Im Jahr 1908 nahm er mit einem Entwurf für den Umbau des Anhalter Bahnhofs in Berlin am Schinkelwettbewerb teil; dieser und weitere Entwürfe, darunter auch einige für U-Bahnhöfe in Berlin, befinden sich heute im Archiv des Architekturmuseums der Technischen Universität Berlin. Während des 1. Weltkriegs diente er bei der Militär-Eisenbahndirektion 2 im französischen Sedan, im Anschluss war er Regierungsbaumeister in Freienwalde. In den 1920er Jahren stieg er schließlich zum Reichsbahnoberrat in Frankfurt auf. Spätestens Ende der 1930er Jahre war Guttstadt im Ruhestand – vermutlich wie viele andere unliebsame Beamte zwangsweise infolge des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums.

Ab 1939 intensivierte sich die Verfolgung von Richard Guttstadt und seiner Familie. Er wurde auf der Kennkarte mit dem Kennzeichen „J“ (laufende Nummer Frankfurt (Oder) A 000) erfasst und musste fortan den Zwangsnamen Israel führen. Seine Frau Hanna hingegen wurde als Arierin registriert, die zwei gemeinsamen Töchter als „Mischlinge 1. Grades“. Im Januar 1939 wurde das Vermögen von Richard Guttstadt unter „Sicherheitsanordnung“ gestellt – dazu gehörte auch das Wohnhaus der Familie. Endgültig beschlagnahmt wurde das Vermögen im Juni 1941, nachdem der Reichsminister des Inneren seine angeblich volks- und staatsfeindlichen Bestrebungen festgestellt hatte. Im Oktober 1941 stellte auch die Reichsbahndirektion Osten auf Verlangen der Gestapo die Zahlung des Ruhegehalts an Guttstadt und seine Familie ein. Immer wieder versuchte seine Ehefrau Hanna Maßnahmen gegen die Familie abzumildern, wobei sie sich unter anderem an den Reichsminister des Inneren und den Chef der Sicherheitspolizei wandte und später auch mit dem Finanzamt Frankfurt (Oder) verhandelte, dem die Verwaltung des beschlagnahmten Hauses oblag. Ihre Bemühungen blieben jedoch fruchtlos. Richard Guttstadt wurde am 29. September 1942 in das KZ Mauthausen deportiert; nur zwei Tage später war er tot. Ein Stolperstein vor dem ehemaligen Wohnhaus der Guttstadts erinnert seit 2009 an sein Schicksal. Seine Frau und seine zwei Töchter überlebten den Krieg.[ii]

Nach dem Zusammenbruch Deutschlands und dem Ende des Nazi-Regimes wurde in der unmittelbaren Nachkriegszeit Frankfurt zum Umschlagplatz für viele vom Krieg entwurzelte Menschen. Einerseits wurden hier Kriegsgefangene versammelt und in die Gefangenschaft in der Sowjetunion weitergeleitet, andererseits kamen am Frankfurter Bahnhof auch über eine Million Umgesiedelte aus den ehemaligen Ostgebieten und vorzeitig aus der Kriegsgefangenschaft Entlassene an. Um der Situation Herr zu werden, richtete die Stadt Frankfurt (Oder) 1946 auf Anweisung der Provinzialverwaltung das Heimkehrerlager Gronenfelde ein. Bereits 1942 hatten die Nationalsozialisten hier ein Lager errichtet, das als Durchgangsstation für ZwangsarbeiterInnen aus Osteuropa und der Sowjetunion diente.

Das Lager besaß einen direkten Eisenbahnanschluss und lag in der Nähe der Gabelung der Strecken nach Seelow und Berlin. Durch die günstige Lage und den direkten Anschluss wurde Gronenfelde zur zentralen Aufnahmestelle für sämtliche Kriegsgefangene aus dem Osten. Besonders in den ersten Jahren war die Lage katastrophal, denn die Bedingung für eine frühzeitige Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft war die vollständige Arbeitsunfähigkeit, sodass die meisten Ankömmlinge gesundheitlich in einem äußerst schlechten Zustand waren. Gleichzeitig fehlte es in den Baracken am Nötigsten für die Versorgung. Erst ab 1948 besserte sich die Lage: Nicht nur ging es mit der Versorgungslage in Gronenfelde aufwärts, auch der Gesundheitszustand der späten Heimkehrer war deutlich besser. So wurde nun die Hauptaufgabe des Lagers die Verwaltung, Weiterleitung und Wiedereingliederung der Heimkehrer; viele von ihnen konnten innerhalb kürzester Zeit in die Heimat weitertransportiert werden. Am 15. August 1950 wurde das Lager Gronenfelde wieder der Stadtverwaltung übergeben und geschlossen.[iii]


[i]     Mehr zur Rolle der Reichsbahn im Nationalsozialismus und im Zweiten Weltkrieg in: DB Museum (Hg.), Im Dienst von Demokratie und Diktatur: Die Reichsbahn 1920-1945 (DB Museum, 2004).
[ii]    Eine genaue Chronik der Verfolgung von Richard Guttstadt wurde von Carsten Roman Höft vom Historischen Verein Frankfurt (Oder) in Vorbereitung auf die Verlegung des Stolpersteins recherchiert und ist online einsehbar: C. R. Höft und R. Mulczinski, “Richard Guttstadt – Staatlicher Terror gegen eine deutsche Familie”, Guttstadt.eu, abgerufen am 26.02.2018, http://www.guttstadt.eu/GG/Richard%20Guttstadt.pdf.
[iii]   Eine umfassende Darstellung der Zustände im Lager Gronenfelde findet sich in: Wolfgang Buwert (Hg.), Gefangene und Heimkehrer in Frankfurt (Oder): Studien, Brandenburgische Historische Hefte 9 (Potsdam: Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung, 1998).