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'68 NOW. Europäische Verflechtungen

Facebook_Pic_600x ©Emblem by Experimental Jetset, Amsterdam 2018

Während das Erbe des Mai 1968 in Westeuropa ein Symbol der Befreiung und der Rebellion gegen starre Machtstrukturen darstellt, dreht sich in Mittel- und Osteuropa die Erinnerung ganz klar um den Prager Frühling und die sowjetische Invasion in der Tschechoslowakei. Damit werden politische und kulturelle Trennlinien in Europa sichtbar, die aus transnationaler Perspektive produktiv diskutiert werden können.  

Die Distanz von einem halben Jahrhundert erlaubt es, besser zu verstehen, inwiefern die unterschiedlichen Ereignisse des Jahres ‘68 in verschiedenen Teilen Europas eine Diskrepanz in Bezug auf Europa als ein internationalistisches Projekt gebildet haben. Die Idee der Internationalität taucht hier als ein ambivalentes Phänomen auf, das einerseits mit der Einforderung von demokratischer Mitbestimmung und größerer persönlicher Freiheit ein emanzipatorisches Potenzial trägt, andererseits aber als ein ideologisches Konstrukt instrumentalisiert wurde, das die Unterdrückung von abweichender Subjektivität legitimierte und schließlich in der Breschnew-Doktrin gipfelte.

Die Ambivalenz des Jahres ‘68 als Symbol eines politischen Ereignisses spiegelt sich in der Entgegensetzung von individueller und kollektiver Emanzipation wider, die die Diskussionen über das Geschehen bis heute sehr stark prägt. Der 68er-Bewegung im Westen wird oft vorgeworfen, dass sie den Fokus des politischen Kampfes vorwiegend auf Identity Politics gelegt habe, wobei die Aufmerksamkeit vom Universalistischen auf das Partikularistische verschoben wurde. Zugleich sind die Versuche in Mittel- und Osteuropa, einen dritten Weg zwischen sowjetischer Diktatur und den kapitalistischen Marktwirtschaft – einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz” - zu entwickeln, unter dem ideologischen Gewicht des sozialistischen Internationalismus sowjetischer Prägung gescheitert.

In der Veranstaltungsreihe soll der Versuch unternommen werden, die einzelnen Ereignisse des Jahres nicht bloß nebeneinander zu stellen, sondern mit Hilfe eines beziehungsgeschichtlichen Ansatzes ihre Verflechtung in den Blick zu nehmen. Denn auch die Revolte der 68er-Bewegung selbst ist eng mit einer internationalistischen Perspektive verbunden.

Die öffentliche Diskussionen in Berlin und Frankfurt (Oder) werden die Ereignisse von ‘68 aus transnationaler Perspektive aufgreifen und die Aktualität der 68er-Bewegung für die heutige politische Konstellation in Europa und die verschiedenen globalen emanzipatorischen Strategien thematisieren. Einen Hauptaspekt, der sich durch die Veranstaltungsreihe zieht, bilden somit Fragen nach dem Erbe von 1968 heute: Wie wird auf die Ereignisse von 1968 Bezug genommen? Was ist aus den emanzipatorischen Forderungen nach mehr Freiheit, Mitbestimmung und Demokratie aus einer transnationalen Perspektive geworden? Wie lassen sich z.B. die Ereignisse auf dem Maidan in Bezug auf die europäischen Erfahrungen von ‘68 lesen?

Gerade in Zeiten eines anwachsenden Populismus und Politikverdrossenheit, der Ausgrenzung des Anderen und sozialer Desintegration von Gesellschaften bietet ‘68 einen Anknüpfungspunkt, um diese auch für unsere Zeit aktuellen Fragestellungen der demokratischen, europäischen Werte und des politischen Engagements zu diskutieren. Dieser Blick zurück ist also auch ein Blick nach vorn, indem er die Frage aufwirft, in welcher Gesellschaft wir gerne leben wollen und dabei das Verhältnis zwischen „Individuellem und Sozialem, Wirtschaftlichem und Politischem, Freizeit und Arbeit, Utopie und Realität, Vernunft und Emotion”[1] als einen gesellschaftlichen Aushandlungsprozess begreift.

Die Veranstaltungsreihe „‘68 NOW. Europäische Verflechtungen“ ist eine Kooperation zwischen der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) und der Europa-Universität Viadrina, Frankfurt (Oder). Sie knüpft an das Programm der Kyïver Biennale an, die im April-Mai 2018 in Kyïv stattgefunden hat (http://vcrc.org.ua/en/68-now).


[1] Ludivine Bantigny, Die Zeit des Möglichen. Die Erfahrungen von 1968 oder eine anthropologische Revolution, in: Lettre International, Heft 120, Frühjahr 2018, S. 35.