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Deutsch - polnisch - russisches
wissenschaftliches Kooperationsprojekt

Bericht zur 2. Sommerschule in Toruń 2011

Bericht von Martin Jeske (Europa-Universität Viadrina Frankfurt/ Oder), jeskemartin@web.de

Im Rahmen des internationalen Projektes Trialog fand vom 27.09. – 03.10. 2011 in Toruń eine Sommerschule zum Thema „Grenzmarken und historische Erfahrung. Eine deutsch-polnisch-russische Spurensuche in der Region von Toruń/Thorn“ statt. Die 39 Teilnehmer waren Studenten, Nachwuchswissenschaftler sowie Dozenten der drei Partneruniversitäten, der Nikolaus Kopernikus Universität Toruń, der Baltischen Föderalen Kant-Universität Kaliningrad und der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder).

Die Durchführung der Sommerschule wurde durch die Förderung des Auswärtigen Amtes und des DAAD sowie durch die Projektleitung unter PD Dr. Olga Kurilo und Prof. Dr. Jaroslaw Dumanowski ermöglicht.

Zur Vorbereitungsarbeit der Sommerschule gehörte die Lektüre historischer Literatur und Quellen zum Preußisch – Russischen Grenzgebiet, die Planung von Mikroforschungen, die vor Ort realisiert werden sollten und schließlich die Recherche und Analyse von Informationen online.

Die Sommerschule hatte mehrere inhaltliche Schwerpunkte die das Thema der Grenzen in der Region Toruń/ Thorn weiter eingrenzten. Insgesamt vier Gruppen beschäftigten sich zu jeweils gleichen Teilen aus polnischen, russischen und deutschen Teilnehmern erstens mit der Erinnerung an die Grenzen der Region, mit Erinnerungsorten sowie mit religiösen Grenzen, zweitens mit Kulturlandschaften, drittens mit Grenzen in der Natur und viertens mit Tourismus, öffentlichem Verkehr und Information.

  • Die erste Gruppe bekam bei der Beschäftigung mit dem Thema der Erinnerung an die Grenzen einen Einblick in die Arten der lokalen Erinnerung, einerseits im Gespräch mit Zeitzeugen, andererseits in regionalen Museen. Interessant war hier die Vergegenwärtigung der Verflechtung von deutscher und polnischer Sprache und Tradition, die sich aus der Grenzlage der Stadt im 19. Jahrhundert ergeben hatte. Eine eigene Kultur und Dynamik des Grenzraumes schien in dieser Region besonders deutlich zu werden. Sehr bedeutend war die Begegnung der Studiengruppe mit zwei Vertreterinnen der lutherischen Minderheit, deren Familien den Zweiten Weltkrieg erlebt hatten und an deren Biographien die Auswirkungen der großen Geschichte auf das individuelle Leben spürbar wurden. Im Gespräch mit den Zeitzeugen stellte sich heraus, dass die Teilnehmer aus den drei Ländern jeweils unterschiedliche Fragen an die Zeitzeuginnen hatten. Doch es schien den Teilnehmern in ihrem Austausch untereinander, dass es sich bei der Erinnerung an die Geschehnisse im 20. Jahrhundert auch um eine europäische Erinnerung, nicht nur um eine nationale handelte. Bei der Zusammenarbeit der Studenten in der Gruppe wurde spürbar, dass der Umgang mit der Geschichte von den theoretischen und methodischen Zugängen an den Universitäten geprägt ist, dass aber beispielsweise der biographische Zugang einen gemeinsamen Nenner bilden konnte, innerhalb dessen sich Unterschiede in den nationalen Interpretationen oder Sichtweisen nivellieren ließen.

  • Die Spurensuche nach polnischen, russischen und deutschen kulturellen Hinterlassenschaften war die Aufgabe der zweiten Gruppe. Schwerpunkte waren unter anderem der Besuch besonderer Architekturdenkmale, von Friedhöfen und Gedenkorten sowie historischen Grenzübergängen. Unterschiedlicher Ausdruck der drei Kulturen fand sich in Sakralbauten also in katholischen, orthodoxen und vormals evangelischen Kirchen, in der Bauweise, z.B. in Ziegelbauten, die mit der preußisch-deutschen Kultur assoziiert wurden, russischen Holzkirchen oder in Beispielen für die Suche nach polnischer Formensprache, etwa in der Moderne und Neuer Sachlichkeit. Er fand sich aber auch auf Friedhöfen mit in Form erstaunlich ausdifferenzierter Symbolsprache. Der Besuch von Grenzorten führte in ganz unterschiedliche Zeiten, von den Deutschordensburgen des Mittelalters bis zur preußisch- bzw. deutsch-russischen Grenze der Zeit nach den polnischen Teilungen, die in der Natur in Form von Grenzflüssen als auch in ehemals getrennten Städten oder einfachen Grenzorten mit ihren deutschen und russischen Zoll- und Grenzkontrolleinrichtungen oder Grenzbahnhöfen erfahrbar wurde. Dabei war eine große Offenheit der Teilnehmer für die Ausdrucksweise der jeweils anderen Kulturen spürbar, eine Neugier, über sonst schwer zugängliche Themen, wie etwa die reiche Symbolsprache polnischer Friedhöfe, mehr zu erfahren. Auch vermeintlich schwierige Themen wurden mit großer Offenheit angesprochen wie das Entsetzen über die Greuel des Zweiten Weltkriegs, z.B. während des Besuchs einer Folter- und Erschießungsstätte in der Stadt Rypin, oder der zum Teil ikonoklastische Umgang mit Spuren der deutschen Vergangenheit in Polen, z.B. auf Friedhöfen oder an Baudenkmalen. Die Unterschiede in der Wahrnehmung kultureller Zeichen scheinen jedoch vor allem mit einem unterschiedlichen Bildungshintergrund beziehungsweise Erfahrungsraum zusammenzuhängen. Das Erstaunen über verschiedene Lebenswelten, das Lernen über sie und die Schulung des Blicks stand im Vordergrund dieses Teils der Sommerschule.

  • Mit dem Entdecken und Deuten von Grenzspuren in der Natur um Toruń beschäftigte sich die dritte Gruppe. Der internationale wie interdisziplinäre Studienkreis erkundete die ehemalige Grenzlandschaft entlang von Ackerflächen, Grenzgräben und Grenzsteinen, entlang von Ufern, Trampelpfaden, Wegen und Straßen, durch Wälder, über Lichtungen und Wiesen, vorbei an Tümpeln und Seen. Die Studierenden stellten erstaunt fest, dass der Verlauf der ehemaligen Preußisch – Russischen Grenze in der Region nach fast einem Jahrhundert noch immer sichtbar ist und problemlos nachvollzogen werden kann. Durch Vorträge von Experten wurde geklärt, dass die „grünen“ Grenzverläufe in den meisten Fällen nicht willkürlich gewählt wurden, sondern vielmehr vormaligen Verwaltungsgrenzen des Staates oder der Kirche folgten, welche einst an landschaftliche Gegebenheiten angepasst wurden. Dies gilt zum Beispiel für einen Teil des Flusses Drwęnz, den die Gruppe in Booten zwischen Golub-Dobrzyń und Lubicz als ehemalige „blaue“ Grenze zwischen Preußen und Russland erkundete und so verstehen lernte, warum sich diese Flusslandschaft als Grenzverlauf eignete und welche natürlichen Anzeichen in der Flora und Fauna zu finden sind. Es wurde dabei offensichtlich, dass es sich hier um eine besondere ökologische Zone handelt. Die interdisziplinäre Zusammenstellung der Teilnehmer ergänzte sich vor diesem Untersuchungsgegenstand hervorragend, da Historiker, Geographen und Biologen gemeinsam die Grenzlandschaft um Toruń erkundeten und sich gegenseitig Bedingtheiten und Wechselwirkungen erklärten und überraschende sowie einleuchtende Zusammenhänge zum Thema Grenze und Natur hergestellt werden konnten. Im Ergebnis wurde deutlich, dass Geschichte in Natur-Räumen unterschiedlich gedacht wird, die Aufmerksamkeit gegenüber der Phänomenologie des Naturraumes jedoch einen vereinenden Bezugspunkt darstellt, der nicht nur verschiedene Disziplinen, sondern auch unterschiedliche Nationalitäten zusammenbringen  kann.

  • Die Widerspiegelung der historischen Grenze, die Suche nach historischen Grenzen im heutigen touristischen Angebot der Region war die Aufgabe der vierten Gruppe. In der Vorbereitungsphase wurde das Internetangebot zur Region Toruń in drei Ländern sorgfältig untersucht und analysiert, wobei die Frage gestellt wurde, welche historischen Daten und Ereignisse sich vermarkten lassen könnten. Wie stark ist die Region touristisch entwickelt? Internetseiten lieferten oft keine ausreichend aktuellen Informationen. Ebenso wichtig für den Tourismus ist die regionale Küche. Was ist mit Preisen, Zugänglichkeit und Auswahl? Spiegelt sich der ehemalige Grenzraum in den Gerichten wieder? Als Resultat der Untersuchung wurde festgestellt, dass die Region ein touristisch hoch entwickelter Teil Polens ist, dass es eine Zusammenarbeit von Hochschulen und Wirtschaft gibt, gezielte Ausbildung von Tourismusfachleuten sowie eine Vernetzung von lokalen Büros existiert und Jahresberichte über touristische Statistiken erfolgen. Das Thema Grenze fand sich im touristischen Angebot wieder. So bietet beispielsweise das ethnografische Museum in Toruń eine Ausstellung, die diesem Thema gewidmet ist. Die kulinarische Vielfalt und hohe Qualität der regionalen Küche war bemerkenswert. Beobachten ließen sich unterschiedliche nationale Einflüsse. Die Küche der Region ist abwechslungsreich, bodenständig und gleichzeitig modern sowie exklusiv. Durch die gemeinsam gesammelten Erfahrungen der Teilnehmer aus der ersten Trialog - Sommerschule im Kaliningrader Gebiet, konnte die Arbeit versiert durchgeführt werden. Die internationale Zusammensetzung der Teilnehmer war problemlos, da jeder mindestens eine Fremdsprache der Trialogpartner beherrschte. Kulturelle Unterschiede der drei Nationen oder gar gegenseitige Vorurteile behinderten die Arbeit nicht.

Die Ergebnisse der 2. Trialog – Sommerschule haben gezeigt, dass Spuren ehemaliger Grenzen in und um Toruń bis heute problemlos aufzufinden sind und einen Teil des regionalen Charakters ausmachen. Die Perspektiven auf das Thema Grenzen waren für Polen, Deutsche und Russen nicht immer dieselben. Bei gemeinsamen Besuchen der Grenzen und anschließenden Diskussionen wurden die verschiedenen Positionen im Trialog verhandelt, spezielle Bedeutungen und Aufmerksamkeiten zur Sprache gebracht, was das gegenseitige Verstehen und Kennen lernen ausmachte. Die internationale wie interdisziplinäre Zusammenarbeit in den Gruppen hat die Teilnehmer in ihren unterschiedlichen Schwerpunkten und Sichtweisen näher gebracht und das Erkennen um Gemeinsamkeiten befördert.

Anmerkung:
Die Ergebnisse der Sommerschule werden im dreisprachigen Trialog-Heft „Grenzmarken und historische Erfahrung in der Region von Toruń/Thorn“ publiziert, das voraussichtlich im Frühjahr 2012 in Berlin erscheinen wird. Außerdem findet eine Fotoausstellung mit dem Thema „Grenzland? Spurensuche in der Region Toruń/Thorn statt. Austellungseröffnung: Dienstag, den 31. Januar 2012 um 18.00 Uhr im Rathaus in Frankfurt (Oder)