Voices from Ukraine – Online-Vortrag über die propagandistische Kriegsführung Russlands gegen die Ukraine

Am 21. April 2022 fand die sechste Online-Diskussionsrunde der Veranstaltungsreihe „Voices from Ukraine“ statt. Thema der Veranstaltung war die russische Propaganda und die Mechanismen der psychologischen Kriegsführung in der Ukraine. Zu Gast war Dr. Dmytro Iarovyi von der Kyiv School of Economics, der in politischer Psychologie promoviert hat. Er erläuterte, woran die russische Desinformationskampagne in der Ukraine scheiterte.

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Dr. Dmytro Iarovyi von der Kyiv School of Economics  - Foto: Yvonne Martin


Für den Überfall auf die Ukraine habe Russland verschiedene Gründe gehabt. Die Entnazifizierung gehöre nicht dazu, das sei bloß Propaganda gewesen, erläuterte Dr. Dmytro Iarovyi zu Beginn seines Vortrags. Wie jeder Krieg so habe auch der aktuelle handfeste ökonomische Gründe: Russland benötige den Zugang zum Schwarzen Meer und Zugriff auf die Getreideproduktion der Ukraine. Zwischen Russland und der Ukraine gebe es einen fundamentalen Unterschied, führte Iarovyi aus: Während das russische Volk Macht als etwas „Gottgegebenes“ ansehe, stelle das ukrainische Volk einem inneren Drang nach Freiheit folgend, jeden Machtanspruch per se infrage. Dies sei die psychologische Erklärung für den Krieg.

Ein zentrales Element dieses Krieges sei zudem die „hybride Kriegsführung“, also der Informationskrieg, die nicht-militärischen Aktivitäten in Form von Propaganda und Desinformation. „Der Informationskrieg gegen die Ukraine ist ziemlich intensiv. Die Russen versuchen, Gegensätze zwischen den Gruppen in der Ukraine, die in der Frage, wie sich das Land in Zukunft entwickeln solle, unterschiedlicher Ansicht sind, zu vertiefen und zu instrumentalisieren“, beschrieb Iarovyi das russische Vorgehen.

Der Informationskrieg habe aber bereits lange vor dem 24. Februar 2022 begonnen. So sei insbesondere die Wahl im Jahr 2019 geprägt gewesen von gezielter russischer Einflussnahme. Russland verbreitete das Gerücht, es könne nach der Wahl zu einem Bürgerkrieg kommen, berichtete der Staatswissenschaftler. Allerdings habe die Propaganda in der Ukraine nicht verfangen. Deren Wirkung sei von russischer Seite völlig falsch eingeschätzt worden. Man habe geglaubt, dass zumindest Teile der ukrainischen Bevölkerung auch 2022 die russischen Panzer willkommen heißen würden, so wie im Jahr 2014 bei der Annexion der Krim.

Ein weiterer Fehler sei gewesen, den Gegner, also die Ukrainerinnen und Ukrainer, zu unterschätzen. So sehr sie eine Tendenz hätten, sich in Friedenszeiten untereinander zu streiten und einander zu bekämpfen – gegen den gemeinsamen Feind kämpfe man doch mit vereinten Kräften. Selbst pro-russische Lokalpolitiker im Süden und Osten des Landes hätten letztendlich die Seiten gewechselt, als sie die Gefahr für ihr Land erkannten, so Iarovyi. Die wenigen verbliebenen Putin-Anhänger seien inzwischen nach Russland ausgewandert. Dies habe auch damit zu tun, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in den vergangenen Wochen eine enorme Führungsstärke gezeigt habe. Selbst Menschen, die vor dem Krieg keine Anhänger Selenskyjs waren, habe er für sich gewinnen können.

Unverhoffte Hilfe sei auch aus der EU gekommen. „Europäische Länder wie Großbritannien entwickelten auf einmal ein Rückgrat – damit hat Putin nicht gerechnet“, kommentierte Dr. Dmytro Iarovyi süffisant. Er kritisierte in diesem Zusammenhang die Angst gewisser Regierungen, Putin zu provozieren. Deshalb würden die Dinge nicht beim Namen genannt, der Krieg als ,Konflikt' bezeichnet und so getan, als handele es sich um einen Fall von „häuslicher Gewalt, um eine Auseinandersetzung zwischen den Brudervölkern Russland und Ukraine“.

Putin habe außerdem einen schlechten Zeitpunkt für seinen Angriffskrieg gewählt: Vor 2014 wäre seine Strategie möglicherweise aufgegangen. Aber nach der Besetzung der Donbas-Region hätten die Menschen ein klares Bild davon erhalten, wie ihre Zukunft aussähe. Eine Zukunft, die sie nicht wollten. Putin habe sich geirrt, als er darauf setzte, dass sich die ukrainische Bevölkerung gegen die eigene Regierung erheben würde. Es sei das Gegenteil zu beobachten: In der Ukraine gebe es nun eine „Cancel Culture“ gegenüber jedem Menschen, der die Kriegspolitik nicht verdamme.

(YM)

Abteilung für Hochschul­kommunikation