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„Mehr Diversität tut der Rechtswissenschaft gut“ – Neue Initiative „Kritische Jurist*innen“ gibt Denkanstöße zur NS-Vergangenheit

Seit dem 8. November 2021 steht im Foyer der Universitätsbibliothek eine Vitrine, die mit künstlerischen Elementen, Fragebögen und Recherche-Anregungen  für eine Auseinandersetzung mit dem Erbe des Nationalsozialismus im Recht sorgen soll. Die Vitrine ist eine der ersten Aktionen der neuen studentischen Initiative „Kritische Jurist*innen“ an der Viadrina. Die Mitgründerinnen Annabel Buschhorn und Johanna Mayrhofer wollen auf Bereiche aufmerksam machen, die ihnen in der Jura-Ausbildung zu kurz kommen.

Von Nägeln durchlöchert, verkohlt, überpinselt: „Palandt“ – der lange umstrittene und seit diesem Jahr ausgetauschte Name des Kommentars zum Bürgerlichen Gesetzbuch aus dem Verlagshaus C.H.Beck ist in der Vitrine in der Universitätsbibliothek unkenntlich gemacht, ausradiert, zerstört. Timofey Belkevich hat sich auf künstlerischer Ebene rabiat mit dem gewichtigen Standardwerk auseinandergesetzt, das von 1938 bis 2021 den Namen von Otto Palandt trug, dem einstigen Leiter des Reichsjustizprüfungsamtes. Erst in diesem Sommer hat der Verlag einer jahrelang erstrittenen Namensänderung zugestimmt, für die sich unter anderem der heutige Viadrina-Jurist Prof. Dr. Kilian Wegner mit der Initiative „Palandt umbenennen“ eingesetzt hatte. Aus dem „Palandt“ wird nun der „Grüneberg“.

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Johanna Mayrhofer (2.v.l.) und Annabel Buschhorn (3.v.r.) mit weiteren Migliedern der Initiative an der Palandt-Vitirine in der Universitätsbibliothek


Für die Jurastudentinnen Annabel Buschhorn und Johanna Mayrhofer – die Initiatorinnen der Vitrine – ist weder die Umbenennung, noch die Kunstaktion das Ende der Auseinandersetzung. Ihr Interesse am Thema Aufarbeitung des Nationalsozialismus im Recht und in der Jura-Ausbildung geht tiefer als die in das Standardwerk gehämmerten Nägel.  Davon zeugen unter anderem die Fragebögen, die sie gemeinsam mit ihren Mitstudierenden entwickelt und an alle Jura-Professorinnen und -Professoren der Viadrina verschickt haben. Ausgefüllt liegen sie jetzt auf der Vitrine und geben einen Einblick, wie unterschiedlich die teilnehmenden Professorinnen und Professoren über die Umbenennung der juristischen Standardwerke denken, mit welcher Intensität sie sich mit den Kontinuitäten des NS im Recht auseinandergesetzt haben und welche Lektüre-Tipps sie ihren Studierenden geben. „Die Auskünfte freuen uns besonders, weil sie zeigen, dass die Fakultät zumindest einen Moment lang über das Thema nachgedacht hat“, sagt Johanna Mayrhofer.

Für sie steht fest: „Die NS-Zeit geht im heillos überfüllten Lehrplan im Jurastudium total verloren.“ Überhaupt sei für kritische, hinterfragende, ungewöhnliche Perspektiven kaum Platz im Rahmen des Studiums. Diese Beobachtung teilt sie mit Annabel Buschhorn. Beide studieren seit 2019 an der Viadrina und haben sich in Online-Seminaren besser kennengelernt. „Es gibt einfach kritische Themen in unserem Fachgebiet, über die wir reden wollen“, haben sie gemeinsam festgestellt und aus dieser Beobachtung heraus, nach Vorbild vergleichbarer Initiativen an anderen Unis, die „Kritischen Jurist*innen“ an der Viadrina gegründet. „Es war an der Zeit – die Viadrina braucht auch so eine Gruppe“, zeigt sich Annabel Buschhorn überzeugt. Dabei ist es ihnen wichtig, nicht als „die gefürchteten Kritischen Jurist*innen“ für Konfrontation zu sorgen, betont Johanna Mayrhofer und zeichnet mit den Fingern Gänsefüßchen in die Luft. Offen und inklusiv wollen sie sein und für Denkanstöße sorgen.

Neben dem Thema der Geschichtsaufarbeitung haben sie weitere Anliegen. So planen sie derzeit eine Veranstaltung über Ungerechtigkeiten, denen gleichgeschlechtliche Eltern ausgesetzt sind.  „Wir sind überzeugt davon, dass mehr Diversität und Intersektionalität der Rechtswissenschaft guttun“, sagen sie. Der große Zulauf zu einer ersten Veranstaltung, bei der Prof. Dr. Kilian Wegner über die Umbenennung des „Palandt“ gesprochen hat, gibt ihnen Recht.

(FA)

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