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Wie kann der Rechtsstaat verteidigt werden, wenn er unter Druck gerät – Diskussionsabend mit Dr. Adam Bodnar

Aktueller hätte der Diskussionsabend mit Dr. Adam Bodnar nicht sein können: Kurz nachdem das polnische Verfassungsgericht beschieden hatte, polnisches Recht über das europäische zu stellen, kreiste die Diskussion am 3. November 2021 mit Prof. Dr. Gesine Schwan und Prof. Dr. Timm Beichelt nicht nur um Polen, sondern um die große, drängende Frage: Wie umgehen mit illiberalen und autokratischen Regierungen?

Sein Amtsantritt als Ombudsmann fiel mit dem Wahlsieg der Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) zusammen. Von 2015 bis Mitte Juli 2021 war Dr. Adam Bodnar Ombudsmann für Menschenrechte der polnischen Regierung; – eine für ihn als Anwalt des Rechtsstaates und der Bürgerrechte große Herausforderung. „Die PiS-Regierung hat seit ihrem Amtsantritt zahlreiche bedenkliche Reformen durchgeführt“, so der Jurist in seinem Vortrag zur „Rolle des polnischen Ombudsmannes in Zeiten der illiberalen Demokratie“. Er diagnostizierte drei Trends: eine Verschiebung des Regierungshandelns hin zu einer Verfassungsfeindlichkeit, die sich etwa im illiberalen Umgang mit den öffentlichen Medien zeige, einen klaren Schwenk hin zu Identitätspolitik und Nationalismus, festzumachen unter anderem am Umgang mit Minderheiten und einem zunehmenden Anti-Eliten-Diskurs, und schließlich einen sozialen Trend, der die eigentlich positive Erhöhung von Renten und Sozialleistungen betreffe, aber politisch instrumentalisiert worden sei. >>>weiterlesen

 

Fotos: Heide Fest

„Wie kann die liberale Verfassung, wie kann der Rechtsstaat verteidigt werden, wenn er unter Druck gerät?“, das sei daher die leitende Frage seiner Amtszeit gewesen. Angesichts eines politisch besetzten und politisch agierenden Verfassungsgerichtes sei für ihn immer klar gewesen: „Es ging niemals darum, die Verfahren zu gewinnen.“ Fokussiert habe er sich stattdessen darauf, eine Öffentlichkeit herzustellen für rechtsstaatliche, wertegebundene Argumentationen, um aufzuzeigen, dass der politische Einsatz von Rechtsprechung gemäß dem Motto „Für mich alles, für meine Feinde das Recht“ falsch sei – und das auch in der internationalen Öffentlichkeit, etwa durch die Anrufung des Europäischen Gerichtshofes in Luxemburg. „Der Ombudsmann kann auf Bürgerrechte und Rechtsstaatlichkeit hinweisen und unterstützen, nicht aber den politischen Prozess ändern“, so fasste Bodnar seine Rolle – keineswegs frustriert – zusammen.

„Was tun wir, wenn zwei unterschiedliche Demokratieverständnisse – ein liberales und ein illiberales – in einem politischen System existieren?“, eröffnete Viadrina-Politikwissenschaftler Prof. Dr. Timm Beichelt die Diskussion; dies habe die Politikwissenschaft ja so nicht vorausgesehen. Bodnar konterte: „Verschiedene Demokratiemodelle respektieren den Rechtsstaat. Die aktuelle polnische Regierung respektiert genau diese Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit aber nicht.“  Viadrina-Polen-Expertin Prof. Dr. Dagmara Jajeśniak-Quast ergänzte, dass sie mit Sorge betrachte, wie Menschen anderer Meinung in Polen die polnische Identität abgesprochen wird. Polen habe die rote Linie längst überschritten; es handele sich um eine Autokratie, die man auch als solche benennen solle, so ein weiterer Wortbeitrag aus dem Publikum.

„An der Europa-Universität Viadrina leben wir täglich Europa und wir beobachten mit Sorge die Aktivität der polnischen Regierung. Was ist die richtige Antwort auf die Regierung in Warschau? Grenzen ziehen oder diplomatische Verständigung, oder eine Kombination von beidem?“, so umriss Viadrina-Präsidentin Prof. Dr. Julia von Blumenthal die drängende thematische Relevanz des Abends. Mache es nicht doch einen Unterschied, ob man sich auf staatlicher, institutioneller oder privater Ebene begegne?

 „Mit dieser Regierung ist kein Kompromiss zu machen“, so Prof. Dr. Gesine Schwan. Als Zivilgesellschaft seien klarere Worte möglich; die Reaktion der EU, über den Hebel des Geldes zu agieren, unterstütze sie uneingeschränkt. „Die eigentliche Lösung aber ist ganz klar die Abwahl dieser Regierung“, so Schwan. Sie zeigte sich überzeugt, dass die polnische Gesellschaft der PiS-Regierung nicht weiter folgen wird: „Bei der Ablehnung der Rechtsstaatlichkeit handelt es sich um eine prinzipielle Frage, hinter der – da bin ich sicher – die Mehrheit der polnischen Bevölkerung nicht steht.“

Und Adam Bodnar schloss mit einer optimistischen Perspektive: „Man kann immer gewinnen. Wenn man etwa auf dem Fußballplatz zu neunt gegen eine Mannschaft mit elf Spielern antritt, kann man gewinnen. Man braucht nur einen Lewandowski.“
(MG)

Zum Mitschnitt des Vortrags und des Gesprächs

Die Veranstaltung wurde organisiert von der Professur für Deutsch-Polnische Kultur- und Literaturbeziehungen und Gender Studies an der Europa-Universität Viadrina in Kooperation mit dem Institut für Europastudien (IFES) an der Europa-Universität Viadrina. Sie war Auftakt der Konferenz „Gerechtigkeit und Antidiskriminierung im deutsch-polnischen Kontext. Hochschuldidaktik als Multiplikation guter Praktiken und Strategien“, die von Mittwoch, den 3. November, bis Freitag, den 5. November, an der Europa-Universität und am Collegium Polonicum stattfand.

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