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Viadrina als „Katalysator“ – das Institut für angewandte Geschichte blickt auf 20 Jahre zurück

Das Institut für angewandte Geschichte – vor Kurzem mit dem Georg Dehio-Förderpreis 2021 ausgezeichnet – feiert in diesem Jahr sein 20-jähriges Bestehen. Im Interview berichten die erste Vorsitzende des Instituts und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Viadrina-Professur für Denkmalkunde, Dr. Magdalena Abraham-Diefenbach, sowie Vereinsmitglied Prof. Dr. Jan Musekamp, zurzeit DAAD-Gastprofessor an der University of Pittsburgh in Pennsylvania, über die regionale Bedeutung und die künftigen Herausforderungen des Instituts.

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Dr. Magdalena Abraham-Diefenbach sowie Prof. Dr. Jan Musekamp im Interview. Foto: Heide Fest


Wie steht es 20 Jahre nach der Gründung um das Institut für angewandte Geschichte?

Jan Musekamp: Das Institut ist eine der wenigen studentischen Initiativen der Viadrina, die bereits über zwei Jahrzehnte Bestand hat. Aus einer rein studentischen Organisation hat sich in den vergangenen fünfzehn Jahren ein zunehmend professioneller Verein entwickelt, der heute im Wesentlichen von Viadrina-Alumni, aber auch von Studierenden und anderen Interessierten aus der Stadt getragen wird.

Magdalena Abraham-Diefenbach: Und es gibt ein weltweites Netzwerk von Mitgliedern, ehemals Aktiven – einige davon forschen an unterschiedlichen Universitäten zu Themen der Migration oder zur Geschichte im öffentlichen Raum, Themen, mit denen sie sich an der Oder beschäftigt haben.

Jan Musekamp: Die vom Institut mitgetragene Initiative, im sogenannten Collegienhaus eine Begegnungs- und Bildungseinrichtung zum historischen Ostbrandenburg zu schaffen, ist dabei wahrscheinlich das zurzeit größte und wichtigste Projekt. Auch eine Beteiligung am geplanten Zukunftszentrum für Europäische Transformation und Deutsche Einheit wäre ganz im Sinne unseres Programms.

Was waren in der Vergangenheit die größten Herausforderungen, welche werden es in Zukunft sein?

Jan Musekamp: Eine der Hauptherausforderungen war und ist es, neue Aktive zu rekrutieren. Studierende der Viadrina haben heute einen stringenteren Studienplan, so dass weniger Zeit als früher für extracurriculare Aktivitäten bleibt.
Nach wie vor ist es eine Herausforderung, mit Veranstaltungen ein Publikum beiderseits der Grenze anzusprechen. Themen, die für ein deutschsprachiges Publikum von Relevanz sind, finden beim polnischsprachigen Publikum nicht immer den gleichen Anklang – und umgekehrt. Die Überwindung der Sprachbarriere war und ist deshalb eine der größten Herausforderungen, während die Grenze nicht mehr den gleichen abschreckenden Effekt hat wie vor dem Schengen-Beitritt Polens.

Magdalena Abraham-Diefenbach: Was die Zukunft angeht: Ich habe das Gefühl, unsere Arbeit und Erfahrungen werden an der deutsch-polnischen Grenze immer wichtiger und könnten gut genutzt werden. Eine Herausforderung ist es, die historische Bildung und den deutsch-polnischen Dialog auf einem hohen Niveau aufrechtzuerhalten und nicht immer von vorne anfangen zu müssen. Wir leben an einem besonderen Ort – an der deutsch-polnischen Grenze, in einer vor 75 Jahren geteilten Stadt und Region mit einer dramatischen Migrationsgeschichte und zugleich an einem Ort der heutigen Flüchtlinge und Migranten. Wir leben in einer Zeit, in der populistische Politiker in Polen antideutsche und in Deutschland antipolnische Ressentiments für ihre Zwecke instrumentalisieren. Es gibt mehr als genug zu tun: vor Ort, konkret im europäischen, universitären Kontext. Wir sind die Brückenbauer!
Noch konkreter: Eine große Herausforderung ist das Schaffen einer neuen deutsch-polnischen Einrichtung auf der Basis der Sammlung der Stiftung Brandenburg in Fürstenwalde. Wir haben mit einer vielfältigen, nicht ausreichend erfassten Sammlung zur Geschichte der Region zu tun, die vor allem die deutsche Perspektive abbildet. Es wäre wunderbar, diese auszuwerten, zu ergänzen und zusammen mit polnischen Partnern die Geschichte der Region der letzten Jahrhunderte, aber auch die jüngste Geschichte der Transformation der letzten 30 Jahren auf beiden Seiten der Grenze zu erkunden und zu diskutieren.

Inwiefern konnte sich das Institut in der Region verwurzeln und welche Rolle spielt dabei die Viadrina?

Magdalena Abraham-Diefenbach: Wir sind seit 20 Jahren in der Region mit unterschiedlichen Projekten unterwegs – vor allem in der Woiwodschaft Lubuskie und in der Stadt Frankfurt (Oder) und Słubice. Wir haben ein breites Netzwerk. Wir arbeiten mit Museen, Archiven oder Lokalhistorikerinnen und -historikern zusammen. Wir vertrauen uns und das hilft uns, gute Projekte auf die Beine zu stellen.
Die Viadrina unterstützt uns sehr dadurch, dass sie uns einen Büroraum zur Verfügung stellt und in der Öffentlichkeitsarbeit unterstützt. Außerdem ist uns natürlich der wissenschaftliche Austausch mit verschiedenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Viadrina, die sich für die Region, den deutsch-polnischen Dialog und historische Bildung interessieren, von großer Bedeutung.

Jan Musekamp: Alle Initiativen des Instituts waren und sind für einen Teilnehmer- und Besucherkreis gedacht, der weit über den Elfenbeinturm Wissenschaft hinausgeht. Im Gegensatz zu den meisten anderen Veranstaltungen der Universität ging es uns immer darum, nicht nur ein Publikum aus Frankfurt und dem östlichen Brandenburg anzuziehen, sondern die Region bewusst grenzüberschreitend zu denken. Wir verstehen Słubice und die Ziemia Lubuska als gleichberechtigten Teil dieser Region. Veranstaltungen werden deshalb regelmäßig verdolmetscht, Veröffentlichungen erscheinen mehrsprachig. Die Viadrina war und ist dabei der Treffpunkt und Katalysator für die Aktivitäten, denn hier kamen und kommen Studierende, Mitarbeitende und Bewohnerinnen und Bewohner der Doppelstadt zusammen, die sich gleichermaßen für Geschichte und Gegenwart der Region interessieren.

Wie konkret ist der Transfer-Gedanke in die Realität umgesetzt worden?

Magdalena Abraham-Diefenbach: Alle unsere Projekte kann man als Transfer von der Uni in die Region verstehen. Wir verstehen es auch in die umgekehrte Richtung und sprechen nicht nur von Transfer, sondern von angewandter Geschichte und vom Austausch. Wir brauchen den Dialog mit Menschen, die sich jenseits der Uni-Stellen und Karrieren mit Geschichte auseinandersetzen. 

Jan Musekamp: Veranstaltungen und Projekte waren und sind immer keine reinen Uni-Veranstaltungen, sondern strahlten und strahlen im Sinne einer Public History in die Region aus. Kooperationspartnerinnen und -partner sind häufig Vereine, Museen, Schulen und andere Initiativen in der Region. Damit ist das Institut in gewisser Weise ein Transmissionsriemen von der Uni in die Region beiderseits der Grenze und umgekehrt. Viele früher aktive Mitglieder des Instituts sind heute zudem im In- und Ausland in Bereichen tätig, deren Aufgabe ebenfalls Wissenstransfer ist, so in der Jugend- und Erwachsenenbildung, in Museen und Kulturprojekten.

(HST)

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