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Von Gesichtserkennung an Bahnhöfen bis zu bewaffneten Drohnen – Viadrina-Jurist Simon Gauseweg über die Folgen des 11. September 2001

Am 11. September 2001 starben bei islamistischen Anschlägen in den USA 3.000 Menschen. 20 Jahre danach spricht Viadrina-Jurist Simon Gauseweg im Interview über die Folgen aus deutscher Sicht. Innenpolitisch wie außenpolitisch sieht er Diskussionsbedarf – sei es über die anhaltenden, verschärften Sicherheitsgesetze oder über den gescheiterten, fast 20 Jahre andauernden Versuch, Afghanistan militärisch und politisch zu stabilisieren.

Herr Gauseweg, ist der 11. September 2001 mit den terroristischen Anschlägen auf die USA aus Ihrer Sicht eine Zäsur, so wie es immer wieder beschrieben wird?
Für mich persönlich ist das schwer zu sagen, ich war am 11. September 2001 zwölf Jahre alt. Weniger persönlich betrachtet war es eine Zäsur. Mit dem 11. September erreichte uns die Angst vor dem Terrorismus. Viel Leichtigkeit verschwand aus dem allgemeinen Lebensgefühl.

WTC_2nd_plane_hit_-_Greenwich_Street_395 ©Hans Joachim Dudeck / Wikicommons

Moment des Anschlages: Am 11. September 2001 fliegt 9:03 Uhr das zweite Flugzeug in das World Trade Center in New York.
                                                                        Foto: Hans Joachim Dudeck


Ist es aus rechtlicher Sicht eine Zeitenwende?
Mit diesem Tag verbunden sind erhebliche Freiheitseinschränkungen, die bis heute nicht zurückgenommen wurden. Sicherheitsbehörden haben mehr Befugnisse bekommen, denken wir nur an das Sicherheitstheater am Flughafen oder die Gesichtserkennung an Bahnhöfen. Der vereinzelte Ruf danach, diese Befugnisse wieder rückgängig zu machen, hat nur wenig Resonanz in der Gesamtbevölkerung. Die sitzt dem Märchen auf, man habe ja nichts zu verbergen. Ich halte das für dumm. Die Geschichte hat uns gezeigt, dass es nicht gut ist, wenn der Staat möglichst viele Daten über seine Bürgerinnen und Bürger sammelt.

Aber haben die Bestimmungen nicht immer noch ihre Berechtigung? Ist die Bedrohung tatsächlich zurückgegangen?
Das ist das berühmte Präventionsparadoxon. Es ist schlecht nachweisbar, dass und warum Prävention nicht funktioniert. Beispielsweise die Fingerabdrücke – und künftig noch weitere biometrische Daten – im Personalausweis: Das trifft mehr als 80 Millionen Menschen in Deutschland, wirklich gefährlich sind vielleicht ein paar 100. Mit dem Ausbau von Repressionen schafft man nicht mehr Sicherheit, das zielt auf das Sicherheitsgefühl ab. Ich halte da Jugendarbeit und Deradikalisierungsarbeit, sowie insgesamt einen Abbau sozialer Ungleichheit für zielführender.

Interessanterweise führte in der Vergangenheit ausschließlich linker und islamistischer Terror zu einer verschärften Sicherheitsgesetzgebung, angefangen zu RAF-Zeiten mit der Schleier- und Rasterfahndung, die es bis heute gibt. Bei den vielen Akten von rechtem Terror – die Mordserie des NSU, die Anschläge in München, Halle und Hanau – folgt man offensichtlich einer anderen Logik; hier sieht man ausreichend rechtliche Mittel.

Tribute_in_Light_and_One_World_Trade_Center_(2012)_395 ©Anthony Quintano / wikiCommons

Tribute in light: Zwei blaue Lichtstrahlen erinnern 2002 an die bei dem Anschlag zerstörten Türme des World Trade Center.          
                                                                                Foto: Anthony Quintano


Auch außenpolitisch und militärisch waren der 11. September und die Reaktionen darauf einschneidend. Erst kurz vor dem 20. Jahrestag haben die USA und ihre Verbündeten – darunter Deutschland – Afghanistan verlassen, die Taliban sind zurück an der Macht. Aus deutscher Sicht: Woran ist dieser Einsatz gescheitert?
Vom ersten Tag des Einsatzes in Afghanistan wurde geschossen und gestorben. Wir in Deutschland haben aber Jahre gebraucht, es überhaupt einen Krieg zu nennen. Aus meiner Sicht wurde vor, während und nach dem Einsatz nur ungenügend diskutiert, mit welchem Plan man da reingeht. Es gab keine klaren Ziele und keine Idee, wie man die Erfüllung dieser Ziele überprüfen kann.

Worüber müsste man konkret debattieren?
Aus deutscher Sicht ist das zum Beispiel die Frage nach dem Einsatz von bewaffneten Drohnen. In der Bundeswehr gibt es keine zwei Meinungen dazu: Es wird von den Soldatinnen und Soldaten gewünscht, dass die Drohnen nicht nur Luftbilder machen, sondern gegebenenfalls auch Raketen abschießen. Diese Frage ploppt immer wieder auf, wird aber nie ausdiskutiert. Aktuell wurde die Entscheidung über bewaffnete Drohnen einmal mehr in die nächste Legislaturperiode verschoben.

Über eine weitere Frage hat man nicht nachgedacht: Sind wir überhaupt allein militärisch handlungsfähig? Das waren wir in Afghanistan nie und zuletzt fiel uns das auf die Füße, als der Flughafen nur noch durch entscheidende Fähigkeiten der Amerikaner funktionsfähig war. Diese Überlegungen können auch für andere Einsätze wichtig sein, etwa in Mali.

Warum kommen die nötigen Diskussionen nicht zustande?
Das ist auch ein rechtliches Problem. Der Regierung wurde schon der Parlamentsvorbehalt abgetrotzt. Laut Urteil des Bundesverfassungsgerichtes dürfen deutsche Soldatinnen und Soldaten nur mit der Zustimmung des Bundestages in einen bewaffneten Einsatz geschickt werden. Das ist aber eine Einbahnstraße: Die Regierung bittet um Zustimmung; es gibt nur die Frage nach Ja oder Nein. Eine inhaltliche Diskussion, welche Ziele man hat, ob man sie erreichen kann und mit welchen Mitteln, ist nicht vorgesehen. Die Regierung wird sie auch nicht aus der Hand geben wollen und ins Parlament verlagern. Diese fehlende Zielstellung und ihre Überprüfbarkeit sind für mich Gründe für das politische Scheitern des Einsatzes in Afghanistan.

(FA)

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