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Von Pracht bis Ruine: Viadrina-Studienreise taucht ein in Schicksale brandenburgischer Residenzorte

Hunderte Gutsanlagen und Schlösser schmücken Brandenburg. Manche verfallen und sind allenfalls noch als Filmkulissen nützlich. Andere beherbergen Hotelgäste oder Bildungsprojekte, einige wenige sogar Nachfahren ihrer einstigen Besitzerfamilien. Wie komplex und schwierig sich die historische Vergangenheit der Objekte als auch künftige Nutzungskonzepte gestalten, hat eine Studienreisegruppe mit dem Lehrstuhl für Denkmalkunde in Nordost-Brandenburg am 28. und 29. August 2021 erkundet.

Fotos & Text: Peggy Lohse (Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Denkmalkunde)

 „Auferstanden aus Ruinen…“ – von der Decke des Ballsaals im Gutshaus Blumberg lösen sich bemalte Zeitungsfetzen und hängen wie Wimpel herab. Zwei, die bereits am Boden liegen, zeigen als Erscheinungsdatum den Oktober 1949 – und einen Abdruck der DDR-Hymne. „… und der Zukunft zugewandt …“ – so sehr die DDR mit ihrer Bodenreform und ihrem pragmatischen Umgang mit historischen Gebäuden der Substanz alter Herrenhäuser und Residenzschlösser hier in Ostbrandenburg zugesetzt hat, umso paradoxer und passender zugleich erscheint die erste Zeile ihres Staatsliedes für Gegenwart und Zukunft jener Gutsanlagen.

An einem trüb-grauen Augustwochenende hat sich eine neugierige, deutsch-polnische Gruppe aus Angehörigen der Professur für Denkmalkunde der Europa-Universität Viadrina, Alumni und Studierenden unterschiedlicher Fachrichtungen, Mitarbeitenden von Denkmalschutzbehörden in Frankfurt (Oder) und Zielona Góra und interessierten Bürgern und Bürgerinnen der Region auf die Reise gemacht, um Architektur, Zustand und Entwicklung ganz verschiedener Residenzorte in der Uckermark, Märkisch Oderland und im Landkreis Oder-Spree kennenzulernen. >>>weiterlesen

Um die 800 historische Herrenhäuser und Schlossanlagen gibt es allein in Brandenburg, erläutert die Reiseleiterin, Kunsthistorikerin und ehemalige Kulturjournalistin Marie Luise Rohde (Foto unten) vom „Freundeskreis Schlösser und Gärten der Mark“ am frühen Samstagmorgen, als die Gruppe mit dem Bus durch den uckermärkischen Morgennebel rollt. Auf dem Programm für die Zwei-Tage-Reise stehen elf Objekte – von bescheiden bis prunkvoll, von Barock über Klassizismus und Historismus bis hin zu Schinkel.

MarieLuiseRohde_ÜbersetzerGrzegorzZałoga ©Peggy Lohse

Als heterogene Gruppe spiegeln die Residenzorte unterschiedliche Stufen und Szenarien des gesellschaftlichen und kulturellen Wandels wider. Gleichzeitig bilden sie wichtige Kristallisationspunkte der inszenierten und gebauten Repräsentation. Schließlich verbergen sich in ihnen auch Erinnerungen an reaktionäre Verstrickungen, Traditionsbrüche oder missglückte Reformen des modernen Zeitalters. Die nach 1945 durchgeführte Enteignung und der Funktionswechsel der meisten Herrenhäuser verliefen hier ähnlich wie im westlichen Polen im Auftrag des sozialistischen Staates, aber ohne die Barriere der nationalen Anfeindung. Privatisierung und Nachnutzung nach der Wende liefen auf beiden Seiten der Oder zögerlich an.

Wie genau, das erklärten neben Marie Luise Rohde und Professor Paul Zalewski an vielen Stationen der Studienreise Expert:innen vor Ort. Die Kunsthistorikerin Beatrix Blum erläuterte die architektonische Entwicklung und Umformungen des Schlosses Boitzenburg, das heute als Kinder- und Jugendhotel sowie Veranstaltungsort genutzt wird. Dr. Charles Elworthy (Foto unten) berichtete im Schloss Wartin von der Historie seines Hauses, das zu Zeiten des Nationalsozialismus auch Gauleiter-Schule war, bis hin zur heutigen Nutzung als Austauschort für Studierende und Raum für Musikfestivals. Die liebevolle Einrichtung und persönliche Wärme, die das Haus und die Außenanlagen heute prägen, hat die Studienreisegruppe besonders beeindruckt, wie zahlreiche Teilnehmende noch am Folgetag erzählen.

DrCharlesElworthy_SchlossWartin ©Peggy Lohse

Im Gutshaus Blumberg erzählte Henning von der Osten – einer von drei Brüdern, die das Gut und eine Forstwirtschaft nach der Wende zurückkauften – von der Organisation des Ausbaus des Hauses mit Wohnräumen für die Besitzerfamilien und künftig auch Teilen, die dem Dorf in der Gemeinde Casekow zur Verfügung stehen sollen. Darunter ist auch der Ballsaal mit den Zeitungsresten, der noch eine Baustelle ist.

Die Burgruine und das Schloss Zichow sowie das Schloss Hohenlandin erinnern nur noch in Details an eine pracht- und ruhmvolle Geschichte, da beide nicht mehr bewohnt oder genutzt werden und so immer weiter verfallen. In Felchow dagegen hat sogar die Gemeinde selbst es vollbracht, das dortige Gutshaus wenigstens im Innern zu sanieren und für die Gemeinschaft nutzbar zu machen. Ortschronist Richard Borchert zeigt Privatbilder aus Zeiten vor der Wende, als hier – wie übrigens in nahezu allen Objekten der Reise – Kinderkrippe und -garten, Lebensmittel- und Frisörladen unterkamen. Direkt nach Ende des Zweiten Weltkrieges dienten die geräumigen Gebäude außerdem auch oft als erste Unterkunft für Geflüchtete aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten.

Sieversdorf_KarlChristoph VonStünznerKarbe ©Peggy Lohse

Der graue und regnerische zweite Reisetag endete dann mit mehreren sehr positiven Beispielen für Nutzungs- und Sanierungskonzepte: Das Schloss Criewen ist als Bildungsort, Sitz der Nationalparkverwaltung Unteres Odertal und mit seinem gepflegten Lenné-Landschaftspark ein beliebtes Ausflugsziel; ähnlich das Oderbruch-Museum in Altranft und das Schloss in Neuhardenberg mit der benachbarten Schinkelkirche. Im Gutshaus Sieversdorf, unweit des Reise-Startpunktes Frankfurt (Oder), präsentierte dann Karl-Christoph von Stünzner-Karbe (Foto oben), wie seine Familie die nicht zerstörte Hälfte des Gutshauses und den dazugehörigen Hof wiedererlangte und neugestaltete.

So endete die sehr lebendige und eindrucksvolle Studienreise, die auch den Abschluss eines Online-Seminars an der Professur für Denkmalkunde bildete. Die vier Studierenden Alla Bahlei, Amelie Sand, Marie Müller und Lukas Lindemann sind froh, dass sie mit dem Ausflug ihren Seminar-Inhalt noch einmal lebendiger erleben durften: „Es ist beeindruckend, die Gebäude in der Realität zu erleben, und die Geschichten von den Besitzern selbst zu hören.“ Zu der gemischten Gruppe gehörte auch das Frankfurter Ehepaar Roswitha und Hans-Jürgen Richter, die sich vor allem aus Neugier zur Studienreise angemeldet hatten. „Viele dieser Orte kennt man ja gar nicht. Und wenn, dann besucht man sie nicht so hintereinander und hat dann keinen Vergleich.“ Ähnlich geht es auch Alexandra Jelitte, Absolventin des Studiengangs „Kultur und Geschichte Mittel– und Osteuropas“ und nun tätig beim Auswärtigen Amt in Berlin: „Ich liebe solche Entdeckungsreisen, solche Objekte in relativ abgelegenen Orten.“ Sie alle möchten sehr gern auch zur Folge-Reise Ende September mitreisen.

„Mare Pomerania Confinium“ – die Entdeckungsreisen gehen weiter

Am letzten September-Wochenende führte eine weitere offene Studienreise zu den Schicksalen von Residenzorten in die einstige Neumark, heute Westpolen.

Diese und folgende Studienreisen finden im Rahmen des Projektes: „Das Meer – Pommern – die Grenzregion als Orte des deutsch-polnischen Dialogs. Grenzübergreifendes Netzwerk zur wissenschaftlichen Kooperation und historischen Bildung über Ostsee und Odergebiet“ statt. Das Projekt wird durch die Europäische Union aus Mitteln des Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) kofinanziert.

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