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„Sie sind wie Chamäleons“ – Buchvorstellung zu Rechtsparteien in Brandenburg

Erhellend, informativ – und mit teils überraschenden Erkenntnissen verlief die Buchvorstellung des neu erschienenen Sammelbandes „Rechtsparteien in Brandenburg: Zwischen Wahlalternative und Neonazismus, 1990–2020“ am Abend des 8. Juni 2021. Das Institut für Europastudien (IFES) lud gemeinsam mit der Professur für Vergleichende Politikwissenschaft der Viadrina sowie dem Moses Mendelssohn Zentrum in Potsdam zur Veranstaltung ein.

Prof. Dr. Michael Minkenberg, Professurinhaber Vergleichende Politikwissenschaften an der Viadrina, führte durch die Online-Vorträge der Autor:innen. Er steuerte den politiktheoretischen Überblicksbeitrag zum Band bei. Sein Fazit, warum rechte Parteien wie etwa die AfD erfolgreich sein können: „Sie sind wie Chamäleons, sie passen sich an. Es ist ihre Vielgesichtigkeit, ihre enorme Anpassungsfähigkeit“, erklärte er. „Ohne große kognitive Dissonanz“ falle es den Vertreterinnen und Vertretern dieser Parteien leicht, je nach Publikum zu entscheiden, was dieses hören will. Wird ihnen argumentativ beigekommen, dann sei es zudem ihre Strategie, sich als Opfer darzustellen.

Buch-Herausgeber Dr. Christoph Schulze und Prof. Dr. Gideon Botsch vom Moses Mendelssohn Zentrum bestätigen diese Einschätzung. Je nach Zielgruppe werde eine andere Tonalität gewählt. Beispiel Andreas Kalbitz, AfD-Vorsitzender im Brandenburger Landtag: Medienvertretenden gegenüber gebe er sich meist zahm und verständig. „Aber hören Sie ihm mal während einer Veranstaltung unter seinesgleichen zu – da tritt er als übler Hetzer auf“, so Gideon Botsch. Ob im Parlament, im Straßenwahlkampf und bei Saalveranstaltungen oder in den Sozialen Medien – Gideon Botsch empfiehlt, sich immer alle „Bühnen“ anzuschauen, auf denen solche Personen auftreten.

fraktionen-brb-hendrik-traeger-600 ©Dr. Hendrik Träger

1999 zog das erste Mal eine rechtsextreme Partei in den Brandenburger Landtag, die DVU. Seit 2014 ist die AfD im Landtag vertreten.                                                                          Grafik: Dr. Hendrik Träger (Uni Leipzig)


Die beiden Herausgeber zeigen in ihrem Buch auch historische Wurzeln von Rechtsparteien in Brandenburg auf. Seit 1990 haben sie Parteiprogramme sowie Aussagen von Wahlkampfauftritten gesammelt und bewertet. „Ich glaube, wir haben Pionierarbeit für Brandenburg geleistet“, sagte Gideon Botsch. Dabei standen und stehen nicht nur klar rechtsextremistische und verfassungswidrige Parteien im Fokus. Mit dem Begriff „Rechtspartei“ seien auch die Grauzonen erfasst, die eben stärkere und schwächere Formen von Rechtsaußen spiegeln können.

Rund um die Wahl in Sachsen-Anhalt am 6. Juni und das wiederholt starke Abschneiden der AfD würden auch immer wieder bestimmte Erzählungen laut, warum gerade Ostdeutschland rechts wähle. Ein zentrales Ergebnis der Autorinnen und Autoren des Buches ist, dass erst seit Ende der 1990er Jahre in Brandenburg rechts gewählt wird. Zudem seien es oft Wählerinnen und Wähler, die heute zwischen 35 und 55 Jahre alt sind. Das Argument, die DDR-Sozialisierung und Diktaturerfahrung habe also etwas mit dem Wahlverhalten zu tun, könne man damit mindestens relativieren. Einen wertvollen Blick von außen bringen Dr. Hendrik Träger und Astrid Lorenz von der Universität Leipzig mit, die sich in ihrem Beitrag „Rechte Parteien im roten Brandenburg“ mit dem Wahlverhalten auseinandergesetzt haben. „Die AfD hat viele Nichtwähler für sich gewonnen und ist in Altersschichten und Berufe – wie Selbstständige und Beamte – vorgedrungen, in denen die alten Parteien offenbar kaum mehr Potenzial hatten“, erklärte Hendrik Träger. In vielen Regionen, wie etwa in den AfD-Hochburgen in Frankfurt (Oder) und Cottbus, falle der Wahlkampf leicht, da es dort weniger intensives Parteileben anderer gebe.

rechtsparteien ©Heike Stralau

Angeregtes Gespräch: Rund 40 Teilnehmende tauschten sich nach der Buchvostellung über ihre Erfahrungen und Fragen zu rechten Parteien aus. Screenshot: Heike Stralau


Leider, so wird auch in der Veranstaltung resümiert, seien viele Menschen bereits daran gewöhnt, rechts zu wählen – besonders in Ostbrandenburg. Die Nähe zur Grenze mobilisiere, das würden Studien zeigen. „Dort wird allgemein das Sicherheitsgefühl angesprochen, ohne inhaltliche Angebote zu machen“, so Hendrik Träger. Das sei auch in anderen Ländern so, ergänzte Michael Minkenberg: „In Frankreich ist es auch die Ostgrenze, die mobilisierend für rechte Parteien wirkt.“
(HST)

buchcover-190px ©be.bra verlag
„Rechtsparteien in Brandenburg: Zwischen Wahlalternative und Neonazismus, 1990-2020“; be.bra verlag; Potsdamer Beiträge zur Antisemitismus- und Rechtsextremismusforschung, April 2021, ISBN 978-3-95410-278-5.

Zum Video

IFES Buchvorstellung

Rechtsparteien in Brandenburg. Zwischen Wahlalternative und Neonazismus, 1990-2020
(2021, be.bra wissenschaft verlag)

Ein Gespräch mit den Herausgebern und Autor*innen Gideon Botsch (Hg.), Christoph Schulze (Hg.), Teresa Sündermann (Autorin) und Hendrik Träger (Autor).
Moderiert von Michael Minkenberg (EUV).

In Kooperation mit der Professur für Vergleichende Politikwissenschaft.

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