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Zwischen katholischer Kirche und rechtskonservativen Kräften – Polnisches Abtreibungsrecht als machtpolitischer Spielball

Sie sind laut, sie sind wütend und sie sind viele: Seit mehreren Wochen gehen Protestierende gegen die Verschärfung des ohnehin schon restriktiven Abtreibungsrechtes in Polen auf die Straße. Rebekka Pflug, akademische Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Europäisches und Deutsches Arbeitsrecht, gab in ihrem Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung „Gender Studies und Queer Theorie“ einen vergleichenden Überblick zur polnischen und deutschen Gesetzgebung und Rechtsprechung.

Rebekka Pflug verfolgt einen interdisziplinären Ansatz bei ihrer Forschung und geht gleichermaßen auf juristische und politikwissenschaftliche Aspekte ein. Exemplarisch am Abtreibungsrecht in Polen und Deutschland und dessen Entwicklung seit 1989 zeigt sie, wie beide Bereiche ineinandergreifen. Die Entscheidung des Verfassungsgerichtes in Polen, Abtreibungen auch bei schweren Fehlbildungen des Embryos unter Strafe zu stellen, ist im Lichte vielfältiger Einflüsse zu betrachten. So ist die Präsidentin des Polnischen Verfassungsgerichtshofes Julia Przyłębska eine enge Vertraute des PiS-Vorsitzenden Jarosław Kaczyński. Die PiS arbeitet seit Jahren an der Deliberalisierung des Abtreibungsrechtes. „Durch die regierungskonforme Besetzung des Verfassungsgerichtes geht dessen Wächterfunktion verloren“, resümiert Rebekka Pflug. >>>weiterlesen

Proteste gegen die Verschärfung des Abtreibungsrechtes in Słubice am 1. November, fotografiert von Jennifer Ramme, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Deutsch-Polnische Kultur- und Literaturbeziehungen und Gender Studies.


Hinzu komme die Macht der katholischen Kirche in Polen: Papst Franziskus vergleicht Schwangerschaftsabbrüche mit einer seiner Ansicht nach vorherrschenden Wegwerfkultur. Auch in Deutschland spielt die katholische Kirche eine eigene Rolle: So besteht eine Pflicht für Personen, vor der vorzeitigen Beendigung einer Schwangerschaft eine Beratungsstelle aufzusuchen und sich dies bescheinigen zu lassen. Die Beratungsstellen sind in Trägerschaft verschiedener Vereine und Kirchen. „Im Grunde sind alle Weltanschauungen vertreten, außer die katholische Kirche. Sie wirbt zwar für Gespräche, stellt aber keinen Schein aus“, so Rebekka Pflug.

Es sind laut Pflug aber nicht allein rechtskonservative und katholische Kräfte Einflussfaktoren. Insbesondere in Polen sei seit dem Transformationsprozess des politischen Systems nach 1989 eine Verschärfung der Geschlechterungleichheit spürbar. Die Frauenfeindlichkeit sei auch in der Mitte der Gesellschaft verwurzelt. Besonders Frauen werden in beiden Ländern noch oft über die Familie definiert, sie seien Mutter und Hausfrau. Starke Lobbyarbeit in ganz Europa mache dafür die sogenannte „Lebensschutz“-Bewegung. Deren Ziel ist das vollständige Verbot von Abtreibungen.

Und so sei es zu verstehen, dass sich besonders seit den 1990er-Jahren eine standhafte Frauenstreikbewegung in Polen etabliert hat. In den vergangenen vier Jahren ist laut Rebekka Pflug auch zu erkennen, dass sich die Protestierenden im Generationswechsel befinden und jünger werden. Die Wortwahl ist emotionaler und aggressiver geworden. „Verpisst euch“ und selbst die Zuspitzung der Proteste auf „Es ist Krieg!“ sind auf Transparenten und als Buchtitel zu lesen. In Frankfurt (Oder) fanden im September 2020 in Solidarität mit den Protesten in Polen Kundgebungen statt – die Bewegung wird genauso wie ihre Gegnerschaft zunehmend europäisch. (HST)

Die öffentliche Ringvorlesung findet online via BigBlueButton statt. Weitere Informationen

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