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Fremd im eigenen Land – Gastdozentin Prof. Dr. Oksana Mikheieva erforscht Schicksal von Binnenvertriebenen in der Ukraine

Zwei Semester lang wird die Historikerin und Soziologin Prof. Dr. Oksana Mikheieva als DAAD-Gastdozentin an der Viadrina lehren und forschen. Die Professorin des Fachbereiches Soziologie an der Ukrainischen Katholischen Universität in Lviv beschäftigt sich unter anderem mit der sozialen Integration von Binnenvertriebenen aus Kriegsgebieten. Zum Auftakt des Wintersemesters 2020/21 stellte sie ihre Forschung im Kolloquium des Viadrina Instituts für Europastudien (IFES) vor.

„Gewöhnliche Menschen unter extremen Bedingungen“ – so hat Prof. Dr. Oksana Mikheieva den Vortrag genannt, mit dem sie sich per Videokonferenz im Kulturwissenschaftlichen Europa-Kolloquium an der Viadrina vorstellte. Wie geht es diesen „gewöhnlichen Menschen“, die aufgrund des Krieges in der Ukraine ihre Heimat verlassen, ein neues Leben aufbauen, ihre Identität anpassen müssen? Diesen Fragen geht die Historikerin und Soziologin nach, seit sie 2014 selbst ihre Heimat Donezk in der Ostukraine verlassen und nach Lviv umziehen musste.

Fast anderthalb Millionen Menschen gelten heute in der Ukraine als „internally displaced persons“ (IDP) – sie wohnen weiterhin im Land, mussten aber ihre Heimatregion verlassen. In Tiefeninterviews erkundet Oksana Mikheieva die Lebensgeschichten dieser Menschen – wie sie vor der Umsiedlung gelebt haben, was ihren Alltag seitdem prägt, welches Bild sie sich von ihrer Zukunft machen. „Oft werden die IDP von außen fälschlicher Weise als homogene Gruppe konstruiert“, umriss Oksana Mikheieva während des IFES-Online-Kolloquiums eines ihrer Ergebnisse. Dabei gebe es große Unterschiede sowohl in der Motivation des Weggehens, als auch in der Wahrnehmung der Binnen-Migrantinnen und -Migranten in den aufnehmenden Gesellschaften. Mal werden sie als Opfer der russischen Annexion willkommen geheißen, mal als potenzielle Unterstützerinnen und Unterstützer paramilitärischer Truppen in der Ostukraine verdächtigt.  Neben dem Trauma des Krieges und der Vertreibung haben die Befragten zudem mit vielfältigen alltäglichen Problemen zu kämpfen: von der Wohnungssuche über den Ausschluss von lokalen Wahlen bis zum Mangel an privaten Kontakten.

Allerdings sorge die erzwungene Migration auch für positiv zu bewertende Effekte, berichtete Oksana Mikheieva den rund 30 Zuhörerinnen und Zuhörern des Kolloquiums. So sei die Gesellschaft kritischer gegenüber offiziellen Verlautbarungen geworden. Die Not vieler IDP habe zudem für ein großes Engagement Freiwilliger gesorgt und langfristig gewöhne man sich in der Ukraine an eine kulturelle und soziale Diversität. „Die IDP beschleunigen Reformen öffentlicher Dienstleistungen“, so ein weiterer Befund der Soziologin.

Die Methode der qualitativen Interviews wird die Gastprofessorin auch mit Studierenden der Viadrina anwenden. In einem Seminar werden sie Untersuchungen über die Herausforderungen der Corona-Pandemie unter Kommilitoninnen und Kommilitonen durchführen.

Für Oksana Mikheieva ist die Gastdozentur nicht der erste Kontakt zur Viadrina. Im Rahmen der Sommerschule Viadrinicum hat sie bereits vor vier Jahren darüber gesprochen, wie der Krieg die Grenze verändert. Dass sie nun trotz der pandemiebedingt widrigen Umstände nach Frankfurt (Oder) gekommen ist, freut auch IFES-Leiter Prof. Dr. Timm Beichelt. „Wir sind dankbar, dass Du jetzt hierhergekommen bist, in einer Zeit, in der vieles so ungewiss ist“, begrüßte er die ukrainische Professorin im Kolloquium.
(FA)

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