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Verfassungsrichterin Susanne Baer im Logensaal: „Grundrechte sind keine Wellnessidee“

Verfassungsrichterin Prof. Dr. Susanne Baer referierte am 21. Januar im voll besetzten Logensaal über die Bedeutung von Grund- und Menschenrechten, welchen Gefahren diese ausgesetzt sind und wie Verfassungsgerichte helfen können, sie zu bewahren.

Zu Beginn ihres Vortrages zog Susanne Baer ein Grundgesetz im Miniaturformat aus ihrem Blazer. „Das habe ich immer dabei, kein Witz“, versicherte die Verfassungsrichterin und Professorin für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien den rund 180 Zuhörern und verdeutlichte damit einen Wesenszug ihrer Arbeit in Karlsruhe. Wenn Susanne Baer mit ihren Kolleginnen und Kollegen im Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichtes an Urteilen arbeitet, tut sie das immer mit Bezug auf die Verfassung. „Eine Überzeugung mag politisch fundiert sein, wenn sie hier nicht verankert ist“, sagte sie und pochte auf das Büchlein, „dann zählt sie nicht.“

Zur Beantwortung der Frage, was Grund- und Menschenrechte in Europa bedeuten, schlug Susanne Baer den Bogen von antiken Ursprüngen erster Ideen über die Verschriftlichung der Versprechen etwa in Form der französischen Menschenrechtserklärung 1789 bis zu der Deklaration der Menschenrechte in den Vereinten Nationen 1948. Immer wieder mussten Vergessene – etwa Frauen oder ethnische Minderheiten – ihre Inklusion erkämpfen. Nicht zuletzt seien die heute geltenden Menschenrechte aus der Unrechtserfahrung des Nationalsozialismus entstanden. „Das ist keine Wellnessidee“, betonte die Richterin. >>> weiterlesen

Fotos: Heide Fest

Und sie wurde deutlich in ihrer Mahnung, dass diese Rechte nicht viel wert sind, wenn es keine Institutionen gibt, in denen sie rechtsverbindlich eingefordert werden können und keine Richter, die in die Lage versetzt werden, die Rechte auch entgegen politscher Mehrheiten zu verteidigen. Dabei versteht sie das Karlsruher Gericht nicht als Hüter der Verfassung. „Sie sind die Hüter der Verfassung“, sagte sie energisch in Richtung Publikum, in dem viele Studierende und Viadrina-Mitarbeitende saßen. Das Verfassungsgericht sei vielmehr eine Art Sicherheitsgurt.

In welch unterschiedlichen Fällen dieser Gurt Halt bieten muss, ließ Susanne Baer mittels eines Exkurses in ihren richterlichen Alltag erahnen. Sie berichtete vom ersten Fall, bei dem im Gerichtssaal Musik gespielt wurde. Es ging um eine Zwei-Sekunden-Sequenz, die Produzent Moses Pelham aus einem Kraftwerk-Stück für einen Song der Sängerin Sabrina Setlur verwendet hatte. Aber auch an Verfahren über den Anspruch von syrischen Flüchtlingen auf Prozesskostenhilfe und über einen Fußballfan mit deutschlandweitem Stadionverbot arbeitete Susanne Baer mit. Ganz aktuell beschäftigen sie die Hartz-IV-Sanktionen.

Was am Ende entschieden wird, müsse auch bei abweichender Überzeugung akzeptiert werden – noch eine Voraussetzung für die Einhaltung der Grund- und Menschenrechte. „Mehr als Worte haben wir nicht“, verdeutlichte sie auch die Grenzen des Bundesverfassungsgerichts. Wenn es keine politischen, juristischen und medialen Akteure gebe, die verfassungsrechtliche Entscheidungen umsetzen, seien Verfassungsgerichte verloren. „Und das kann ganz schnell gehen, wie wir aktuell in vielen Ländern, etwa in Ungarn sehen“, mahnte Susanne Baer. Denn dekorativ, im Sinne eines autokratischen Legalismus, funktionieren Grund- und Menschenrechte nicht: „Da sollten wir uns nicht blenden lassen!“ (FA)

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